Auditive Adaption: Märchen im Hörspiel 

Hörspiele könnte man als „Kino im Kopf“ beschreiben. Eine Geschichte wird mit verteilten Sprechrollen, Geräuschen und Musik dargestellt und erlebbar gemacht. So bieten sie ein facettenreiches und spannendes Hör- und Phantasieerlebnis für die Zuhörer*innen.   

Das Hörspiel kommt mit Beginn des Rundfunks in den 1920er Jahren auf. Der Fokus liegt auf dem aktiven Zuhören, eigentlich wie bei einem Hörbuch, oder auch, noch einfacher gefasst, wie bei dem Vorlesen eines Buchs. Allerdings lässt es sich dann doch klar durch seine dialogische Form und der Beteiligung verschiedener Sprecher von diesen beiden Formen abgrenzen (Wicke, 2016). Durch eine enge Verflechtung von Sprache und Stimme können prägnante Ausdrücke hervorgehoben werden (ebd.), Geräusche und Musik unterstützen darüber hinaus die Vorstellungskraft. Das Hörspiel geht im Grunde genommen aus dem Theater hervor. Da ebenfalls weitere Personen wie Tontechniker, Regisseure oder Musiker mitwirken, ist es im Vergleich zum Hörbuch vielfältiger (ebd.). 

Der Einsatz von Hörspielen im Unterricht bietet sich vor allem unter dem Gesichtspunkt des Zuhörenlernens an, worauf im Folgenden näher eingegangen werden soll.

Aber auch weitere Aspekte rund um das Thema Sprache und Sprechen können leicht berücksichtigt werden. Dabei soll der besondere Fall des Märchenhörspiels im Blick behalten werden, sind Märchen doch zum einen Kulturgut, zum anderen transportieren sie wichtige Botschaften zu Handlungen und Konflikten in der realen Lebenswelt (Reinemer, 2011). Durch ihren abgeschlossenen Handlungsrahmen und die überschaubare Anzahl an Charakteren und Orten ermöglichen sie einen sehr guten Einstieg in die Welt der Hörspiele. 

Diese Welt wird über das aktive Zuhören geöffnet und das Zuhören stellt eine der Kompetenzen des Kerncurriculums der Primarstufe für das Fach Deutsch dar. Die Schüler*innen sollen zum Beispiel strukturierten Gesprächssequenzen zu vertrauten Themen und Sachverhalten folgen können (HKM, 2011). Schon 1975 stellte Lermen für den Einsatz von Hörspielen im Unterricht fest, dass ein Hörspiel in besonderer Weise dazu geeignet ist, die SuS zu einem bewussten, kritischen und kreativen Hinhören zu befähigen (vgl. Lermen, 1975). Verschiedene Sprecher*innen erleichtern es den SuS, Gesprächsbeiträge bestimmten Personen zuzuordnen und diesen zu folgen.

Darüber hinaus kann auf die verschiedenen Sprechausdrucksmittel eingegangen werden, zu denen beispielsweise Tempo, Betonung und Lautstärke gehören (Müller, 2021). Ist der*die Sprecher*in ein Kind oder erwachsen? Ist die sprechende Person selbstbewusst, ängstlich oder fröhlich? Die Bewusstmachung der verschiedenen Ausdrücke, die eine Stimme aufweisen kann, hilft den SuS, Kompetenzen für die eigene Gesprächsführung zu erwerben. Diese wichtige personale Kompetenz ist auch im Kerncurriculum der Primarstufe zu finden (HKM, 2011). Märchenhörspiele stellen für die Herausarbeitung von Stimmlagen ein besonders gutes Medium dar, da den Figuren oft ein eindeutiger Charakter zugeordnet werden kann. Die böse Hexe wird sich eindeutig böse anhören und die gute Fee auf jeden Fall freundlich. 

Hörspiele können nicht nur die Achtsamkeit für Stimme und Sprache schulen, sie regen darüber hinaus das kreative und produktive Denkvermögen an – sie sind eben, wie eingangs erwähnt, wie ein „Kopfkino“. Was die SuS wahrnehmen, empfinden und heraushören, können sie in anschließenden Gesprächen mit ihren Mitschüler*innen mitteilen. Der gemeinsame Austausch über die persönlichen Wahrnehmungen ist besonders gewinnbringend. Hörspiele fördern so auch im besonderen Maße die Kommunikation, die wiederum, neben der Kompetenz des Zuhörens, eine weitere zentrale Kompetenz des Kerncurriculums darstellt (HKM, 2011). Dass Märchen sich, trotz ihrer magischen Elemente (sprechende Tiere, Zauberkünste), stark an der alltäglichen Welt orientieren, ist ein weiterer Aspekt, der für Märchenhörspiele spricht. 

So können Hörspiele wichtige Impulse für den Deutschunterricht geben. Beispielhaft sollen im Folgenden zwei Unterrichtsideen vorgestellt werden, die auf die beschriebenen Stärken von Märchen in ihrer Umsetzung als Hörspiel eingehen und zeigen sollen, wie Märchenhörspiele zu der Ausbildung wichtiger Kernkompetenzen anregend und freudebringend eingesetzt werden können.


Unterrichtsansatz I

Stimme im Hörspiel charakterisieren - Figurencharakterisierung anhand ihrer Stimmen im Hörspiel           
Sozialform: Gruppenarbeit                                                                                                                                       
Klassenstufe: 3. Klasse 

Für die Umsetzung wird das Hörspiel “Der kleine Muck” (Europakassette, 1826), verfügbar auf YouTube, verwendet.  

Nach Wicke (2019) sind Sprache und Stimme untrennbar und damit eng miteinander verbunden. Dabei ist es auch wichtig im Hörspiel zu betrachten, wie etwas gesagt wird und dabei nicht nur den Inhalt zu analysieren (Wicke, 2019). In einem Hörspiel sind die Figuren durch ihre Stimmen wiedererkennbar und voneinander abgrenzbar. Anhand der Stimme lassen sich verschiedene Merkmale der Figur, wie Alter, Geschlecht oder Herkunft, aber auch Eigenschaften erkennen (Wicke, 2019).

Die Schüler*innen werden hierzu in sechs, vorher von der Lehrkraft festgelegte Gruppen eingeteilt. Hierbei befassen sich immer zwei Gruppen mit derselben Figur.  

Gruppe 1 und 4: der kleine Muck 

Gruppe 2 und 5: die alte Frau 

Gruppe 3 und 6: der Vater  

Für die Gruppenarbeit liegen an jedem Gruppentisch jeweils Tablets mit Kopfhörern und das zu bearbeitende Arbeitsblatt aus. Die Arbeitsphase setzt sich aus einer Einzelarbeit als auch einer Gruppenarbeit zusammen. Erstmals sollen alle Schüler*in die auf dem Arbeitsblatt angegebene Stelle alleine hören und dabei auf die Stimme der Figur ihrer Gruppe achten. Dies stärkt die Medienkompetenz (HKM, 2011), da die Schüler*innen sich mit dem Medium Hörspiel auseinandersetzen als auch mit dem gezielten Zuhören (HKM, 2011).  

Daran anschließend bearbeiten sie in der Gruppenphase mit ihren Gruppenmitgliedern die restlichen Aufgaben. Hierbei sollen sie gemeinsam anhand der Stimme das geschätzte Alter, das Geschlecht sowie auch Eigenschaften, die man hieran diesen zuschreiben können, analysieren und aufschreiben.

Als Differenzierung gibt es hierzu eine Wortwolke, in welcher unterschiedliche Eigenschaften und Beschreibungen für Stimmen aufgezählt werden.  Dazu wird die Kommunikationskompetenz benötigt sowie aber auch die Rücksichtnahme und das Einbeziehen anderer Meinungen (HKM, 2011). Als Zusatzaufgabe dürfen die Schüler*innen ein passendes Bild einzeln malen/aufzeichnen, beispielsweise wie sie sich die Figur anhand der Stimmen vorstellen, welches die Imagination ebenfalls anregt und fördert. 

Nachdem sie die Aufgaben bearbeitet haben, treffen sich alle Schüler*innen im Sitzkreis zusammen. Hier werden die Figuren von den jeweiligen Gruppen vorgestellt, ihre Ergebnisse begründet und mit der jeweils anderen Gruppe verglichen. Dabei wird ebenfalls sowohl die Kommunikationskompetenz als auch das Leisten von Redebeiträgen (HKM, 2011) sichtbar.   

Unterrichtsansatz II

Gruppenturnier - Fragen zum Hörspiel anhand eines Quiz beantworten  

Sozialform: Gruppenarbeit 

Klassenstufe: 4. Klasse

In dem konzipierten Unterrichtsansatz handelt es sich um eine Ableitung eines „Gruppenturnier[s]“ (Borsch, 2010, S. 43) für den Deutschunterricht einer 4. Klasse. Im ersten Arbeitsschritt sollen die Schüler*innen den Ausschnitt 07:50–12:41 aus dem Hörspiel „Der kleine Muck“ (Europakassette, 1826) anhören. Dieser Ausschnitt thematisiert Mucks Flucht aus dem Haus der alten Frau in Richtung des Palasts des Sultans.

Die Schüler*innen werden anschließend in heterogene Fünfer-Gruppen aufgeteilt und dürfen sich über den Hörspielausschnitt austauschen. Im nächsten Arbeitsschritt verteilt die Lehrperson ein „Frage-Antwort-Spiel“ (Borsch, 2010, S. 44) mit Fragen über das Hörspiel, das die Kinder in ihren jeweiligen Gruppen miteinander bearbeiten sollen.

Die Quizfragen können wie folgt aussehen:

Das Quiz besteht aus Antwortmöglichkeiten zum Ankreuzen, jedoch ist lediglich eine Antwort pro Frage richtig.

Zum Schluss werden die Lösungen durch die Lehrkraft kontrolliert und im Plenum besprochen. Die Gruppe, die die höchste Punktzahl an richtigen Lösungen erreicht, gewinnt eine „Gruppenbelohnung“ (Borsch, 2010, S. 45).

In dieser Gruppenaufgabe steht insbesondere das „Zuhören“ (HKM, 2011, S. 18) im Vordergrund. Die Schüler*innen lernen „strukturierte Gesprächssequenzen zu vertrauten Themen und Sachverhalten [zu] verfolgen“ (HKM, 2011, S. 18) sowie „wesentliche Aussagen einfach verständlicher Gesprächsbeiträge wieder[zu]geben“ (ebd. S. 18). Durch die Auseinandersetzung mit dem Hörspiel wird zudem ihre „Medienerfahrung“ (HKM, 2011, S. 23) gestärkt. Des Weiteren werden ihre „Lese- und Rezeptionsstrategien“ (HKM, 2011, S. 23) anhand der Quizfragen unterstützt.

Die Hörspielsequenz und der darauffolgende Austausch mit den Klassenkamerad*innen ist ein besonders geeigneter Gegenstand für eine Gruppenarbeit. „Der kleine Muck“ ist ein spannendes Märchen, das wichtige Themen auf kindgerechter Art behandelt: Verlust, Tod, Freundschaft, aber auch Mobbing. Die Kinder können sich so mit der Hauptfigur identifizieren und in dessen Lebenslage hineinversetzen.

Die Vorteile der konzipierten Gruppenaufgabe sind vielzählig: Gruppenarbeiten wirken im Allgemeinen motivierend auf Schüler*innen, da sie die Aufgaben gemeinsam bearbeiten dürfen. Die Kinder lernen dadurch zu kooperieren und die Redebeiträge ihrer Mitschüler*innen wertzuschätzen, weshalb „soziale Beziehungen“ (Kunter & Trautwein, 2013, S. 120) innerhalb der Klassengemeinschaft gefördert werden. Sie lernen dabei, ihr Gegenüber aussprechen zu lassen und die Aufgaben untereinander aufzuteilen.  Eine Beispielsfrage ist hierfür: Wer darf die Lösungen auf dem Blatt ankreuzen und die Fragen vorlesen?

Diese Schritte sollten bereits am Anfang der Bearbeitung innerhalb der Gruppen festgelegt werden, um möglichst wenig Arbeitszeit zu verlieren. Die Gruppenbelohnung kann zudem einen positiven Effekt auf die Zusammenarbeit haben, da die Kinder auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten.

Weitere passende Gegenstände


In dem Märchen "Frau Holle" wird eine wichtige Moral vermittelt, die lautet: "Die Guten werden belohnt und die Bösen/Faulen werden bestraft”. Dies soll verdeutlichen, dass sich Bescheidenheit, Höflichkeit und Fleiß auszahlen. Hier lässt sich ein Bezug zur Grundschule anstellen, da die Schüler*innen sich anstrengen müssen, um gute Noten zu erzielen, sowie ihre individuellen Lernziele erreichen zu können. Durch die verteilten Rollen werden die unterschiedlichen Machtpositionen sowie die Gefühlslagen der Protagonist*innen deutlich. Den Lernenden bietet es die Möglichkeit, sich in die Figuren hineinzuversetzen und ihre jeweilige Lage nachvollziehen zu können. 

2. Die Bremer Stadtmusikanten: https://freilichtbuehne-boekendorf.de/maerchen/

In diesem Märchen hat jedes Tier seine eigene, besondere Stimme. Alle Stimmen zusammen vertreiben zum Schluss die Räuber und lassen die Geschichte gut ausgehen. Außerdem kann man an den Stimmen gut die Entwicklung der Hauptcharaktere von vertriebenen, ungeliebten Tieren hin zu einem starken, selbstbewussten Team nachverfolgen.

3. Zwerg Nase:  https://www.youtube.com/watch?v=alU2nHiUyBM

In dem Märchen „Zwerg Nase“ von Wilhelm Hauff werden wichtige Themen angesprochen wie das Erwachsenwerden, die Unabhängigkeit der Eltern, soziale Ungerechtigkeiten sowie die Oberflächlichkeit der Gesellschaft. Das Hörspiel ist besonders für die Grundschule geeignet, da eine komplexe Geschichte als komprimierte und kindgerechte Adaptation dargestellt wird. 

Quellen