Gut und Böse

In den meisten (Volks-) Märchen, die Kinder häufig schon in jungen Jahren vorgelesen bekommen, kommen Figuren vor, die sich meist klar in „Gut und Böse“ einteilen lassen. So wird zum Beispiel im Märchen „Rotkäppchen“ sehr deutlich, dass der Wolf böse („Rotkäppchen aber wusste nicht, was das für ein böses Tier war […]“ (Grimm, o.D)) und die Figur Rotkäppchen als gut kategorisiert werden kann. Meistens bedroht das Böse das Gute und wird am Ende dafür bestraft. Das Gute dagegen „gewinnt“ häufig. Die Einteilung in Gute und Böse ist in vielen bekannten Volksmärchen leicht zu erkennen und spielt daher eine wichtige Rolle bei der Urteilsbildung, vor allem bei Heranwachsenden. Davon abzugrenzen sind Kunstmärchen, in denen häufig gemischte Figuren vorkommen, die sich nicht eindeutig in Gut und Böse kategorisieren lassen (Neuhaus, 2017).

Pieper (2008) definiert Gut und Böse wie folgt: „Gut und Böse stecken in ihrer moralischen Bedeutung den Horizont ab, vor dem eine Interaktionsgemeinschaft ihr Selbstverständnis als ein humanes zur Geltung bringt […]“ (S. 15). Durch die einfache Schreibweise von Volksmärchen wird für den/die Leser:in schnell erkenntlich, welche Figuren sich dem Guten und dem Bösen zuordnen lassen (Bettelhain, 1980). Somit gelten die jeweiligen Eigenschaften der Figuren ebenfalls als schlecht oder gut. Dadurch stellen Gut und Böse zunächst eine Art Orientierung für Leser*innen und ein Kriterium bzw. ein Indikator dar, welche Verhaltensweisen als gut angesehen werden und welche verhindert werden sollten (Abraham, 2021). Dem Kind wird es durch die fehlende Psychologisierung der Figuren erleichtert, Unterschiede zwischen den Figuren zu erkennen (Bettelhain, 1980). Der starke Kontrast der Figuren (böse Figuren tun ausschließlich Schlechtes und gute Figuren Gutes) ist bei dem Bilden erster moralischer Urteile besonders relevant (Pieper, 2008). Dadurch wird ein Grundstein für die Persönlichkeitsentwicklung gelegt, der für diese wichtig ist (Bettelhain, 1980). Dabei ist besonders von Bedeutung, dass meistens das Gute belohnt wird, was das Denken von Kindern stärken kann, auf die Kraft des Guten zu vertrauen (Esterl, 2000). Dabei wird ihnen eine Identifikationsfigur geboten, dessen (gutes) Verhalten sie kopieren wollen, um das Böse zu besiegen bzw. sich auf die Seite des Guten zu stellen. Kinder sympathisieren meist mit dem Helden, somit auch mit dem Guten und durchleben die Geschichte und das häufig durch eine böse Figur zugefügte Leid mit ihnen (Bettelhain, 1980). Denn das Gute und Böse findet sich auch in ihrem Leben und so wirkt das Märchen im begrenzten Maße auch abschreckend vor dem, was mit dem Bösen passiert (Bettelhain, 1980). Die Existenz des Bösen in Volksmärchen bestärkt und hebt die als gut zu charakterisierenden Figuren im Märchen hervor. Gleichzeitig zeigt das Böse aber auch eine Art Faszination und zieht Leser*innen in seinen Bann (Pieper, 2008).

Diese Kontraststärke der Figuren lässt sich allerdings auch dahingehend kritisieren, dass es wie im echten Leben kein Dazwischen, also keine Figur, die Gutes und Böses zugleich tut, gibt. Die Situation, dass eine Figur entweder gut oder böse ist, ist recht realitätsfern und kreiert ein Bild, welches in unserer Welt eine Ausnahme darstellt (Pieper, 2008).

Dennoch ist der in Märchen dargestellte Kontrast zwischen Gut und Böse wichtig, damit Kinder durch einfache Mittel wie dem Vorgelesen-bekommen eine Grundauffassung lernen, welches Verhalten moralisch als gut oder als schlecht eingestuft werden kann. Zudem wird ihnen eine gute Identifikationsfigur geboten, die für ihre Taten meist am Ende eines Märchens belohnt wird oder die siegt und Böse vertreibt (Bettelhain, 1980). 

Betrachtet man nun mit diesem Hintergrundwissen moderne Märchenbearbeitungen, die eventuell sogar in einem anderen medialen Kontext, also als Film, Hörspiel oder Illustration veröffentlicht wurden, fällt folgendes auf: Die Grenzen zwischen Gut und Böse sind hierbei oft nicht ganz so deutlich erkennbar, wie es in vielen Vorlagen der modernen Bearbeitungen der Fall ist. So verschwimmen beispielsweise im Buch "Rotwölfchen" (Flechais, 2021) die Grenzen, sodass Gut und Böse nicht mehr eindeutig zuordenbar ist. Oftmals hängt dieses mit der zunehmenden Psychologisierung der Figuren zusammen, da ein komplexer Charakter durchaus gut und böse zugleich sein kann (Bettelhain, 1980). Daher ist es bei Zunahme der intermedialen Bearbeitungen von Märchen besonders von Bedeutung, dass das Thema "Gut und Böse" schon mit jungen Kindern thematisiert wird und im (Deutsch-) Unterricht einen Platz findet.

Unterrichtsansatz I 

Kreatives Schreiben:

Der folgende Vorschlag eignet sich für die Klassenstufe 3 und 4.

Der erste Unterrichtsansatz, der vorgestellt wird, ist die Aufgabe einen kreativen Text schreiben zu müssen, welcher das Verständnis der Schüler:innen von "Gut" und "Böse" aufgreift. 

Voraussetzung für die Unterrichtsstunde ist, dass sich die Klasse bereits in einer vorherigen Deutschstunde mit dem grimmschen Märchen "Rotkäppchen" beschäftigt hat und bereits Ansätze erarbeitet hat, welche charakterlichen Eigenschaften der "böse Wolf" und das "Rotkäppchen" tragen. Auf Basis dieser Grundlagen wird nun das Märchen "Rotkäppchen hat keine Lust" eingeführt, wobei die Schüler:innen herausarbeiten sollen, welche charakterlichen Eigenschaften der Wolf und das Rotkäppchen in dem abgewandelten Märchen aufweisen und inwiefern diese sich im Vergleich zum grimmschen Märchen verändert haben. Die Schüler:innen dürfen auch selber beurteilen, in welchem Märchen die Charaktereigenschaften der Figuren von ihnen als moralisch höher bzw. besser eingestuft werden.

Zunächst wird den Kindern das Märchen "Rotkäppchen hat keine Lust" vorgelesen. Danach wird im Plenum besprochen, welche Personen in dem Märchen als "gut" und welche als "böse" wahrgenommen werden. 

Dann werden die Kinder gefragt, welche Taten der Personen dazu führen, dass sie diese als "gut" oder "böse" wahrnehmen. Die Schüler*innen sollen hier bereits verstehen, warum manche Taten moralisch nicht vertretbar sind und daher als "böse" gelten. Das Mädchen in "Rotkäppchen hat keine Lust" zeigt hier keine guten, sondern eher faule oder "böse" Absichten, obwohl dies von den Kindern vielleicht nicht erwartet wird. Zudem kann gefragt werden, ob das vorgestellte "Rotkäppchen" denn wirklich durch seine neuen Charaktereigenschaften als "böse" eingestuft wird und er Wolf als "gut" oder ob diese Grenzen hier verschwimmen. Denn jedes Kind kennt es, nicht immer Lust zu haben, alle Anweisungen der Eltern zu befolgen. Manchmal hat man einfach "keine Lust". Ist dieses lustlose Verhalten gleich ein böses Verhalten? Dies soll in einem fragen-entwickelnden Gespräch erörtert werden.

Außerdem werden sie mit der Frage konfrontiert, ob sie es als "gut" beurteilen würden, dass nun der Wolf der Großmutter hilft und ihre Gemeinschaft genießt. Denn auch dies erwartet die Leserschaft nicht, daher kann erörtert werden, warum der Wolf nicht als "böse" Figur rüberkommt.

Danach kann im Plenum gefragt werden, ob jemand Unterschiede zu den Eigenschaften oder Wirkung der Figuren benennen kann. Zudem sollen die Kinder dazu angeregt werden, die Figuren in Bezug auf "Gut" und "Böse" mit dem grimmschen Märchen zu vergleichen. Dabei kann die Lehrkraft Fragen stellen, wie z.B.: "Wie verändern sich die Charaktereigenschaften der Wolfsfigur von dem grimmschen Märchen hin zu "Rotkäppchen hat keine Lust"? "Welche Eigenschaften würdet ihr dem Rotkäppchen in den verschiedenen Märchen zuordnen?"

Nachdem die Plenumsdiskussion über "gute" und "schlechte" Eigenschaften der Personen im Märchen beendet ist, erhalten die Kinder eine Schreibaufgabe, welche die vorherigen Überlegungen vertiefen und zum abstrakteren Denken anregen soll. Die Kinder erhalten nun die Aufgabe, das Buch "Rotkäppchen hat keine Lust" weiterzuschreiben. Diese Geschichte werden anschließend vorgelesen.  Danach fragt die Lehrkraft die Schüler:innen welche Geschichten den Wolf wieder "böse" haben werden lassen und das Mädchen "lieb", oder ob es Geschichten gab, bei denen die charakterlichen Rollen gleich geblieben sind. 

Da in einigen Klassen Plenumsdiskussionen noch nicht hinreichend erarbeitet wurden, kann der Teil der Diskussion auch als Arbeitsblatt erarbeitet werden.

Auf diesem sollten folgende Fragen stehen:

Unterrichtsansatz II

Als ein weiterer methodischer Zugriff könnte man das Rollenspiel nehmen. Bei dieser Methode wird die Lebenswirklichkeit mit spielerischem Agieren verbunden. Als Ziel gelten das Nachempfinden und eine vorausschauende Bearbeitung von „Gut“ und "Böse“ im Märchen "Rotkäppchen hat keine Lust" von Sebastian Meschenmoser.

Zuerst sollen die Kinder sich das Märchen "Rotkäppchen hat keine Lust" anhören. Anhand des Gehörten wird gemeinsam über die Hauptfiguren des Märchens diskutiert. Die Empfindungen und Überzeugungen der Kinder bezüglich, wer im Märchen „gut“ und wer „böse“ ist, werden gesammelt.

Darauffolgend werden die Kinder aufgefordert anhand des Märchens "Rotkäppchen hat keine Lust" drei Rollenspiele mit jeweils einer "bösen" Figur zu machen. Dieses kann im Plenum entschieden werden, wobei die Schüler:innen darauf achten sollten, dass Rahmenbedingungen wie beispielsweise "möglichst viele auftretende Personen" oder "spielerisch umsetzbare Szene" beachtet werden. Diese Bedingungen kann die Lehrkraft ebenfalls gut mit der Klasse gemeinsam im Vorfeld sammeln und sichtbar notieren, um anschließend eine geeignete Szene auszuwählen. Darauf folgend werden die Rollenkarten jeder Figur für jedes Rollenspiel angelegt. Dadurch erfolgt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Märchen, denn eine szenische Umsetzung ist nur möglich, wenn die Kinder die Handlung und Zusammenhänge des Märchens verstehen. Durch die Einführung des Rollenspiels wird der Unterricht handlungsorientiert, wodurch sowohl die Motivation als auch das Interesse am Unterrichtsgegenstand steigen können.

Da es nur drei Hauptfiguren im Märchen gibt (das Rotkäppchen, der Wolf und die Oma) können für die Rollenspiele drei Gruppen in der Klasse gebildet werden. Die erste Gruppe soll ein Rollenspiel machen, in dem das Rotkäppchen „wirklich böse“ dargestellt wird. Die zweite Gruppe soll einen „bösen“ Wolf präsentieren und die dritte Gruppe soll ein Rollenspiel mit einer „bösen“ Oma entwerfen und anhand einer beispielhaften Szene präsentieren.

In der Vorbereitungsphase wird das Szenario jedes Rollenspiels erstellt und anschließend die Spielpersonen aus jeder Gruppe ausgewählt. Hierbei ist es wichtig, dass die Kinder über ihre „gute“ oder „böse“ Rolle reflektieren und sachlich begründen können, was ihre Figur „gut“ oder „böse“ macht. Die einzelnen Gruppen wählen jeweils drei Spieler:innen aus der Gruppe aus.

Während der Spielphase beobachten die übrigen Schüler:innen agierende Kinder und notieren sich stichwortartig sowohl die Verhaltensweisen als auch die Aussagen der Figuren, die sie zur „bösen“ oder "guten“ Figuren machen. Schließlich wählen die einzelnen Gruppen neue Spieler:innen aus. Die Rollenspiele werden gespielt, bis alle Kinder an diesen teilgenommen haben.

In der Auswertungsphase bekommen alle Spieler:innen die Gelegenheit, sich über die Aufführung, ihre Rolle und ihre Empfindungen zu äußern. Dabei wird auch thematisiert, wie die Kinder sich in der "guten" bzw. in der "bösen" Rolle fühlen. Dabei ist es auch wichtig, zu beschreiben und begründen, wodurch diese Gefühle zustande kommen.

Außerdem werden in der Auswertungsphase die Beobachtungen aller Schüler:innen gesammelt und es werden aufgekommene Rückfragen an die Spieler gestellt. zudem wird thematisiert, ob die Beobachtungen den eigenen Einschätzungen entsprechen. Folglich diskutiert die ganze Klasse über die Merkmale einer „bösen“ und einer „guten“ Märchenfigur. Dabei werden die wichtigsten Begründungen an der Tafel festgehalten.


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