Zwerg Nase 

Russland, 2003

Worum geht es?

Zur Durchführung ihrer heimtückischen Pläne braucht die böse Hexe die Hilfe des gutmütigen Schustersohnes Jakob. Aufgrund seines guten Herzens kann nur er ein böses Steinmonster für sie aufwecken. Als Jakob sich weigert, stiehlt die Hexe ihm sieben Jahre seines Lebens und verwandelt ihn in einen buckligen Zwerg mit einer riesigen Nase. Sieben Jahre vergehen unbemerkt für Jakob und er kehrt als Zwerg in seine Heimat zurück. Dort ist sein Vater aus Kummer gestorben und nicht einmal seine eigene Mutter erkennt Jakob wieder. Von den Bewohnern der Stadt wird er verspottet und fortgejagt. Der verzweifelte Jakob weiß nicht, was er tun soll.
Doch eines Tages – als Jakob wieder vor der Hexe fliehen muss – rettet er das Leben einer Gans. Es handelt sich um keine gewöhnliche Gans, sondern um die Prinzessin Greta, die Königstochter, die von der Hexe verzaubert und entführt worden ist. Greta weiß, dass die Hexe ein Zauberbuch aus dem Königspalast stahl, um die Macht im Königreich an sich zu reißen. Sofort machen Jakob und die Prinzessin gemeinsame Sache, um zu ihren Familien zurückzukehren und den verschlagenen Plan der Hexe zu vereiteln. Dies gelingt ihnen, indem sie den geheimen Code aus dem Buch entschlüsseln und ein Taraxacum (Löwenzahn) durch die Sonnenstrahlen verbrennen. Damit bannen sie den teuflischen Zauber, nehmen ihre menschliche Gestalt wieder an und besiegen die Hexe.


Abb. 1 Zwerg Nase [Originaltitel: Карлик нос] Russland, 2003. Screenshot 00:05:57

Mit welchen medialen Inszenierungstechniken erzählt das Märchen?


Bei der filmischen Adaption „Zwerg Nase“ (Russland, 2003) wird hauptsächlich durch Verfahren der Bild- und Tongestaltung sowie Montage eine Atmosphäre erzeugt.

So werden bei der Bildgestaltung hier verschiedene Einstellungsgrößen genutzt. Am Anfang des Films kommt Panorama mehrmals zum Einsatz, was nach W. Kamp und M. Rüsel (1998) einer Effekteinstellung dienen soll. Ein markantes Beispiel für die Einsetzung der Einstellungsgröße Detail ist auf der Abbildung 1 zu sehen. Hiermit wird die unmittelbare Nähe der Hexe zu Jakob dargestellt und ebenfalls ihre grausame Gestalt verdeutlicht. Die Einstellungsgrößen Groß und Nah werden im Film öfter aufgeführt und betonen vor allem die Mimik und sind bei den Höhepunkten der dramatischen Handlung vorzufinden. Währenddessen heben Halbnah und Halbtotal die Gestik und Proxemik (Körpersprache) der Figur hervor und beziehen die unmittelbare Umgebung ein.

Bei der Bildgestaltung ist ebenfalls die Licht- und Farbgestaltung wichtig. So werden im Film die fröhlichen und freundlichen Szenen hell dargestellt. Zum Beispiel, wenn Jakob am Anfang des Films auf das Königsland von einem Felsen herabblickt (00:03:32).

„Halbdunkle oder dunkle Beleuchtungen können gefährlich, unheimlich oder mysteriös wirken“ (Kamp & Rüsel, 1998, S.5), weswegen diese in den Szenen im Haus der Hexe verwendet werden. Das Bild der Hexe besteht im Film aus dunklen und entsättigten Farben, denn sie wirken auf den Betrachter kühl und unfreundlich. Dagegen enthält die Kleidung von Jakob weiße und rote Elemente, wobei Weiß für Reinheit, Unschuld und Offenheit und Rot für Dynamik, Aktivität und Gefahr stehen können. Die weiße Gans könnte ebenfalls für die Reinheit und Unschuld der Protagonistin stehen, wobei sie am Ende des Films als ein Mädchen mithilfe von gelben und orangenen Farbtönen dargestellt wird, die für Reife, Wärme, Optimismus und Freude stehen.

Die Tonebene spielt in der medialen Adaption Film ebenfalls eine wichtige Rolle. Der Zeichentrickfilm „Zwerg Nase“ (Russland, 2003) verfügt über keinen Erzähler, sodass der Zuschauer die Informationen zum Verständnis der Geschichte nur aus Dialogen und aus der Bildebene entnehmen kann. Außerdem tragen die Geräusche und die Musik auf eine besondere Weise zur Gestaltung der Atmosphäre des Films bei. Sie helfen die einzelnen Szenen besser zu verstehen und eine gewisse Stimmung oder Emotionen zu erzeugen. So wird zum Beispiel eine düstere Stimmung im Haus der Hexe durch Geräusche ihrer Schritte und durch ihr Lachen erzeugt. Dies wird zusätzlich von passenden musikalischen Signalen, die eine Gefahr anzeigen, unterstützt.

Wenn man sich der Montage des Films widmet, so entdeckt man, dass „Zwerg Nase“ (Russland, 2003) sich durch einen ausgewogenen Tempowechsel von hohen und niedrigen Schnittfrequenzen auszeichnet. Das bedeutet, im Film wird zwischen hoher und niedriger Häufigkeit der Schnitte innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z.B. einer Szene) gewechselt.

Wie in den meisten Filmen werden bei „Zwerg Nase“ die einzelnen Einstellungsabfolgen und Szenen möglichst harmonisch aneinandergereiht. Das heißt, der Zuschauer empfindet die Schnitte nicht als störend oder irritierend. Der Film hat abgeschlossene Szenenhandlungen, wobei keine Szene plötzlich und unerwartet endet.

Zusammengefasst ist "Zwerg Nase" (2003) ein atmosphärisch gestalteter Kinderfilm, bei dem die Zuschauer/innen in eine märchenhafte Welt eintauchen können.

Wie wird die Geschichte verändert?


Folgende Abweichungen zum Prätext gibt es bei den Figuren: Es werden neue Figuren wie zum Beispiel der Diener der Hexe, die königliche Wache, der Oberläufer und seine Frau hinzugefügt. Einige Figuren aus dem Prätext werden ausgelassen, so zum Beispiel der Küchenmeister, der Oberküchenmeister, der Koch, der Fürst und der Wetterbock. Der Verzicht auf diese Nebenfiguren kann durch ihre Irrelevanz für die Handlung erklärt werden.

Außerdem wird der Herzog aus dem Prätext als König im Zeichentrickfilm bezeichnet und der Name der Gans wird von Mimi auf Greta geändert. Der Grund für die Namensänderung ist leider unbekannt.

Der Zeichentrickfilm „Zwerg Nase“ weist die Abweichungen zum Prätext bei der Handlung von der ersten Szene an auf. Der Film beginnt mit dem Gespräch der bösen Hexe und ihrem Diener. Dabei erfahren die Zuschauer, dass die Hexe den Schustersohn Jakob für die Erfüllung ihres bösen Plans braucht, weil er das gütigste Herz hat. Im Prätext wird dagegen gar nicht erläutert, warum die Hexe genau diesen Jungen auf dem Markt aufsucht und mit sich nach Hause nimmt. 

Eine weitere markante Abweichung vom Prätext ist zu sehen, als die Hexe Jakob zu ihr nach Hause bringt. Als die beiden durch den Flur in ihrem Palast laufen, wird den Zuschauern die entführte Prinzessin gezeigt, die hinter einem Spiegel eingesperrt ist. Die Hexe führt Jakob zu einem Steinmonster, das sie erwecken will und dafür bittet sie den Jungen, das Steinmonster zu berühren. Dafür bietet sie ihm verlockende Belohnungen an, aber als Jakob ablehnt, schickt sie ihn weg und versichert ihm, dass er noch selbst zu ihr zurückkehren wird. Während Jakob zur Tür rennt, wachsen ihm „ein riesiger Buckel“ und „eine gewaltige Nase“ (Zwerg Nase, 2003, 00:14:02). Vor der Ausgangstür bekommt Jakob von zwei Eichhörnchen andere Schuhe, die zu einer großen Abweichung im weiteren Ablauf der Geschichte führen, weil sie ihm bei der Karriere des Oberläufers helfen werden.

Als weitere Abweichung ist der Tod des Vaters zu nennen.  Der Schuster stirbt aus Kummer, weil sein Sohn verschwunden ist. Durch diese Abweichung wird Jakobs Lage nach seiner Rückkehr noch mehr dramatisiert. Danach wird die Verwandlung der Prinzessin im Palast der Hexe gezeigt, während sie im Prätext direkt in der Gestalt einer Gans auftritt. Im Zeichentrickfilm nimmt die Königswache dem Diener der Hexe die Gans weg, als der sie gerade zum Marktplatz bringen wollte.

Später trifft die Königswache den königlichen Oberläufer, der die Wachen als Diebe melden möchte. Während die Wächter den Oberläufer bestechen wollen, versucht die Gans zu fliehen und Zwerg Nase hilft ihr dabei. Als Zwerg Nase von einem Hund gejagt wird, sagt er das Wort „schneller“ und die verzauberten Schuhe der Hexe, die er an hat, bringen ihn blitzschnell davon.

Eine weitere Abweichung vom Prätext ist die Rückkehr von Zwerg Nase zur Hexe. Als er in ihrem Palast nach ihr sucht, sieht er das Steinmonster wieder und möchte es berühren. Bevor er es macht, fliegt die von ihm gerettete Gans rein und rät ihm schnell wegzulaufen. Als die beiden vor der Hexe und ihrem Diener fliehen, erzählt die Gans Jakob, dass sie die verzauberte Königstochter ist und dass sie gesehen hat, wie die Hexe ein Zauberbuch aus dem Palast ihres Vaters gestohlen hat, weswegen die Hexe sie entführt hat. 

Dass der König seine Tochter seit sieben Jahren mithilfe von schnellsten Läufern im Land sucht, ist eine weitere Abweichung vom Prätext. So nimmt Jakob an dem Wettkampf der Läufer teil, gewinnt dank seiner verzauberten Schuhe und wird zum Oberläufer ernannt. Dies ist eine starke Abweichung vom Prätext, wo Zwerg Nase als Unterküchenmeister dem König dient. 

Des Weiteren wird der Name des Krauts, das Jakob und Greta vom Zauber erlösen soll, im Zeichentrickfilm von Niesmitlust auf Taraxacum geändert. Somit wird der Zauber gebannt, indem Jakob ein Löwenzahn mit einer Lupe verbrennt. Erst dann stirbt die böse Hexe, die im Zeichentrickfilm bis zum Finale mehrmals auftritt.


Wie erkennt man die Verbindung zum Prätext?


Auf den ersten Blick erkennt man die Verbindung zum Prätext von Wilhelm Hauff durch den gleichen Titel des Films. Als eine weitere Verbindung gilt die Darstellung der Figuren, die nur auf der Bildebene zustande kommt. Auf dem Titelbild sind die beiden Protagonisten des Films zu sehen und es lässt sich nicht bestreiten, dass ihre Darstellung mit den Beschreibungen aus dem gleichnamigen Märchen von Wilhelm Hauff übereinstimmen.

 Außer dem Aussehen werden hier der Name, das Verhalten und das Schicksal der Hauptfigur übernommen. So wird Jakob wie im Prätext von einer Hexe in einen buckligen Zwerg mit riesiger Nase verzaubert und ihm werden die sieben Jahre seines Lebens gestohlen. Er wird von seiner eigenen Mutter nicht erkannt und von allen ausgelacht und fortgejagt. Dabei bleibt er stets barmherzig und rettet eine sprechende Gans. Es gelingt ihm, zum Palast des Königs zu kommen, um ihm dort zu dienen. Ebenfalls wird Jakob mithilfe eines unbekannten Krautes im Film entzaubert.

Die im Film dargestellte Figur namens Greta stimmt im Ganzen der Figur aus dem Prätext namens Mimi überein. Greta ist eine verzauberte Prinzessin, die die Gestalt einer Gans einnimmt (Abb. 2). Sie begleitet Jakob auf seinem Weg und wird am Ende wieder zum Menschen und wird mit ihrem Vater wiedervereint.


Abb. 2 Zwerg Nase [Originaltitel: Карлик нос] Russland, 2003. Screenshot 00:38:24 

Quellen

Zeichentrickfilmquelle: 

Ilya Maksimov, Denis Chernov, Konstantin Eduardowitsch Bronsit, Mikhail Meschaninov (2003) Zwerg Nase [Originaltitel: Карлик нос] Russland, Melnitsa Animation.

Literaturquellen:

Werner Kamp u. Manfred Rüsel: Vom Umgang mit Film. Berlin: Volk und Wissen 1998.