Dornröschen fährt Achterbahn 

Claudia Gliemann (Text), Marie Doerfler (Illustration)

Worum geht es?

Das Bilderbuch "Dornröschen fährt Achterbahn" von Claudia Gliemann handelt von einem Mädchen, das sehr traurig ist und niemandem davon erzählt. Dadurch wachsen die Dornensträucher um sie herum und trennen das Mädchen von der eigentlichen Welt ab. Dornröschens Eltern machen sich große Sorgen und lassen unterschiedliche Ärzte kommen, doch keiner kann dem Mädchen helfen. Dornröschens Gedanken fahren oft Achterbahn und in ihrem Inneren ist es finster kalt. Sie hat unglaubliche Angst vor der Zukunft und wünscht sich einen Prinzen herbei, der die Hecke durchtrennt. Da kommt Aschenputtel, um Dornröschen beim Aufräumen zu helfen. Die Mädchen räumen zusammen auf und stärken Dornröschens Selbstbewusstsein, in dem sie ihren Anker im Boden befestigen. Dornröschen entdeckt ihre Leidenschaft fürs Malen und Lesen. Es tauchen ein Prinz und eine Fee auf, aber Dornröschen beachtet die beiden nicht. Denn Dornröschen weiß sich selbst zu helfen, wenn das Dornengebüsch wieder zu hoch wächst. 

Wie sind die Bilder gestaltet?

Die Bilder des Buches "Dornröschen fährt Achterbahn" wurden von Marie Doerfler illustriert. Sie stützen den von Claudia Gliemann verfassten Text des Bilderbuches. Das Verhältnis zwischen Text und Schrift ist komplementär, stellenweise reichert auch der Text das Bild an. Auf den meisten Seiten geben die Bilder auf einer Doppelseite den dort verfassten Text künstlerisch wieder. Dadurch hat man nach dem Lesen eine Orientierungshilfe für die Vorstellungen, die sich beim Lesen entwickeln. Die Bilder sind dabei nicht realitätsgetreu, sondern regen die Fantasie durch metaphorische und überdimensionale Darstellungen an. Es werden zudem bestimmte Symbole in den Bildern verwendet. Die Dornen stehen eindeutig für Dornröschens Traurigkeit und ihr langsames Verschwinden in dem Märchen beschreiben Dornröschens Weg raus aus der Traurigkeit. Zudem werden im Text verwendete Metaphern wie "es zog noch immer eine Wolke hinter sich her" bildlich wortgetreu umgesetzt. Trotzdem ergänzt der Text auf manchen Doppelseiten die dargestellten Bilder, da er die Gefühle der Personen näher beschreibt als die Bilder es tun könnten. In diesen Fällen reichert der Text das Bild an, beispielsweise auf der ersten Doppelseite wird erwähnt "seine Eltern machten sich große Sorgen".

Die Bilder sind sehr anschaulich und kindgerecht gemalt und spiegeln das Erzählte gut wider. Dabei sind die Bilder angelehnt an die Thematik der Prinzessinnenwelt. Es werden Darstellungen wie der Drache verwendet, die Kinder kennen und gut einordnen können. Die gezeigten Häuser und andere Hintergrundabschnitte sind gezeichnet, wie Kinder diese selbst malen würden. Dabei werden immer passende, meist sanfte Farben verwendet. Die Bilder erinnern an ein Wasserfarbenbild, was ebenso an die kindlichen Leser*innen anknüpften soll. Doch die Dornen sind immer in einem kräftigen dunklen Grünton dargestellt, wodurch sie bedrohlicher wirken. Die Bilder erzeugen Mitgefühl für Dornröschen und ihre im Text geschilderte Traurigkeit, da die Personen und ihre Gesichtszüge möglichst präzise gezeigt werden. Dornröschen kann durch die Bilder zu einer Identifikationsfigur für die Kinder oder Leser*innen werden. 

Die Bildsprache greift hier auf Techniken und Motive der Kindheit zurück. Dennoch sind ältere Leser*innen durch das sehr komplexe Thema, das in das Märchen verstrickt wurde, nicht ausgeschlossen. Die Autorin und die Illustratorin geben mit dem Bilderbuch eine Möglichkeit, Kindern das schwere Thema "Depressionen" etwas verständlicher zu machen und auch mit der Traurigkeit, die einen manchmal umgibt, umzugehen können. Doch gerade die Bilder sprechen vor allem das jüngere Publikum an. Schon durch die Titelseite weckt das Buch bei den Kindern Neugierde.

Wie wird die Geschichte verändert?

Das Bilderbuch zeigt sehr starke Abweichungen zu dem Märchen "Dornröschen" der Gebrüder Grimm. Es werden einige Figuren, wie auch Dornröschen selbst, die Eltern, ein Prinz und eine Fee aus dem Märchen übernommen. Dennoch tauchen andere Figuren auf, die im Märchen selbst nicht vorkommen. Aschenputtel ist in Claudia Gliemanns Bilderbuch Dornröschens Rettung, damit wird eine Figur aus einem anderen Märchen miteinbezogen. Auf einer Doppelseite wird ein Bezug auf eine Situation aus dem Aschenputtelmärchen geschaffen, um die Figur mit dem Text "Die Guten ins Töpfchen. Die Schlechten ins Kröpfchen" (Gliemann, 2022, S. 33) einzuführen. Auch wenn Figuren, wie der Prinz oder die gute Fee aus dem Märchen übernommen wurden, haben sie eine ganz andere Bedeutung und Charakteristik im Bilderbuch. Dornröschen selbst und ihre Eltern werden ebenso nicht wie im Märchen als Königsfamilie charakterisiert, sondern als "Es war einmal ein Mädchen" (Gliemann, 2022, S. 1) und "seine Eltern" (Gliemann, 2022, S. 1). Trotzdem wird über die Bilder deutlich, dass es sich um eine königliche Familie mit Kronen, lebend in einem Schloss, handelt. 

Die Geschichte des Bilderbuchs ist stark von der Märchenhandlung abgewandelt. Dornröschen ist im Bilderbuch zu Beginn der Geschichte schon eine junge Jugendliche und es handelt nicht von der eigentlichen Thematik des Kinderwunsches eines Königspaares. Das Bilderbuch thematisiert hauptsächlich Dornröschens Gefühle, vor allem ihre unendliche Traurigkeit. In den ersten Seiten wird diese mit unterschiedlichen Metaphern des Unwohlseins und Verlorenfühlens dargestellt. Beispielsweise erzählt Gliemann, dass es in Dornröschens Inneren finsterkalt ist und sie sich wie ein Blatt im Wind fühlt. Der oben erwähnte Anker steht für Dornröschens erschaffene Selbstsicherheit nach den schweren Zeiten. Doch die Dornen, die Dornröschen gefangen halten, sind im Bilderbuch und im Märchen gleich, auch wenn sie nicht in einen 100jährigen Schlaf verfällt. Die Stelle von Dornröschens Rettung könnte jedoch wieder nicht unterschiedlicher sein. Anders als im Märchen kommt Aschenputtel Dornröschen zur Hilfe und sie befreien sich gemeinsam aus den Dornen. Auch wenn sich Dornröschen anfangs einen Prinzen oder eine gute Fee gewünscht hat, braucht sie diese nicht mehr, als sie später im Bilderbuch erscheinen. 

In Hinblick auf die Sprache schafft das Bilderbuch über die ersten Worte "Es war einmal" eine Verbindung zum Genre der Märchen. Doch diese Anfangsworte unterscheiden sich auch von denen aus dem Prätext. Während die Figur Dornröschen im Bilderbuch als "es" personalisiert wird, ist es im Märchen "sie". Die Sprache des Bilderbuchs ist moderner und kindgerechter geschrieben. Trotzdem werden mit manchen Sätzen Märchenbezüge geschaffen. Der auktoriale Erzähler ist im Bilderbuch aus dem Märchen übernommen worden. Die Message hinter dem Bilderbuch ist eindeutig eine andere als die, die hinter dem Märchen steckt. Die Moral des Märchens ist, dass ein Vater alles tut, um seine geliebte Tochter vor dem Bösen in der Welt zu beschützen und sie dadurch von ihrer Umwelt isoliert. Das Bilderbuch hingegen wurde geschrieben und Figuren und Teile der Geschichte aus einem Märchen übernommen, um Kindern einen Zugang zu dem schweren und schwierigen Thema Depressionen zu schaffen. Die Message steht ganz im Vordergrund des Bilderbuches. Mit Hilfe von an die Lebenswelt der Kinder anknüpfenden Texten, wie den Märchen, probiert sie die Kinder an die Krankheit heranzuführen und diese in der Geschichte zu erklären. 

Wie erkennt man die Verbindung zum Prätext?

Die Verbindungen zum Prätext kann man unter verschiedenen Gesichtspunkten nach Pfister und Broich (vgl. Wicke 2016) analysieren. Es werden die Referenzen, Markierungen, Skalierung und die Verbindung zur Bildebene untersucht.

Es handelt sich um eine Einzeltextreferenz, da sich das Bilderbuch durch die Auswahl der Figuren und Teile der Geschichte konkret auf ein Märchen bezieht. Dabei werden viele Figuren übernommen und die Märchenhandlung genutzt, eine eigene Geschichte zu entwerfen. Dennoch werden Symbole, wie die Dornen oder Handlungsorte, wie das Schloss als Anspielungen auf den Prätext verwendet. Das ganze Bilderbuch basiert auf den Handlungen und Figuren aus dem Märchen, doch diese wurden geschickt verändert und auf das Vermitteln der Message und die heutige Zeit angepasst. 

Im inneren Kommunikationssystem lassen sich keine Markierungen finden, denn die Figuren wissen nichts über das Märchen selbst. In Nebentexten hingegen gibt es Markierungen, die auf das Märchen der Gebrüder Grimm hinweisen. Der Klappentext verrät hierbei, dass Claudia Gliemann das Märchen Dornröschen in ihrem Bilderbuch neu interpretiert. Zudem wird im Titel des Bilderbuches der Name des Märchens genannt, wodurch wieder eine Markierung stattfindet. Die Markierungen wecken Neugier bei den Leser*innen für das Bilderbuch. Dabei werden über das Titelbild vor allem Kinder angesprochen. Die Markierungen sind aber Verweise auf das Märchen für die Erwachsenen. 

Die Intensität der Intertextualität ist bei diesem Bilderbuch kein großes Thema, da die Geschichte komplett von dem Märcheninhalt abweicht und somit keine Verweise aufzeigt. Die Bezüge, die die Autorin auf das Märchen geschaffen hat, liegen in anderen in den anderen bereits genannten Bereichen. Zudem liegt der Fokus auf dem notwendig engem Verhältnis von Text und Bild. 

Die Bildebene spielt in Gliemanns Buch eine sehr große und bedeutende Rolle. In Doerflers Bildern findet sich die erzählte Geschichte wieder. Zudem bekommen gerade Kinder eine visuelle Unterstützung für die verwendeten Metaphern. Die Bilder sind aussagekräftiger, als bloß der Text. Doch weder ohne den Text, noch ohne die Bilder kann man die Geschichte vollständig erzählen. Auf der Bildebene werden viele kleine Details und Hintergrundinformationen verraten, die dadurch nicht im Text explizit erwähnt werden müssen. Beispielsweise wird nie erzählt, dass es sich um eine königliche Familie handelt. Doch durch die dargestellten Figuren in den Bildern geht es klar hervor. Die Texte sind meist sehr kurz und beinhalten nur die wichtigsten Informationen, da das Buch an Kinder gerichtet ist. Dadurch müssen die Bilder den Rest zeigen und erzählen. Sie lassen eine genaue Beschreibung zu, die in Worten nicht möglich wäre und dazu für Kinder lange nicht so verständlich. 

Cover: Gliemann, Claudia; Doerfler, Marie (2022): Dornröschen fährt Achterbahn

Quellen