Schneewittchen strickt ein Monster

Annemarie van Haeringen 

Worum geht es?   

In dem modernen Märchen "Schneewittchen strickt ein Monster" geht es um eine Ziege namens Schneewittchen, deren Leidenschaft das Stricken ist.

Am Anfang der Geschichte gibt Schneewittchen den kleinen Ziegen Strickunterricht. Eines Tages kommt Frau Schaf vorbei und prahlt mit ihrem Talent zum Stricken. Sie beleidigt Schneewittchen worauf diese wütend wird. Das Ergebnis davon ist ein gestrickter Wolf, der lebendig wird und Frau Schaf frisst. Schneewittchen entkommt und versteckt sich in einem Wandschrank. Sie überlegt, was sie nun tun kann, und strickt einen Tiger. Dieser frisst den Wolf. Nun grübelt die Ziege und strickt ein riesiges Monster mit ihrer restlichen Wolle. Von diesem behält sie bewusst die Fäden auf der Stricknadel. Das Monster frisst den Tiger und Schneewittchen beginnt anschließend das Monster aufzuribbeln. Daraufhin werden der Tiger und kurz danach auch der Wolf sichtbar, bevor beide aufgelöst sind. Letztendlich ist Frau Schaf wieder zu erkennen. Sie entschuldigt sich, Schneewittchen und ihre Strickkünste beleidigt zu haben.

Die neunte Doppelseite zeigt das Bild von Schneewittchen, wie sie das Monster auflöst.

Quelle: Haeringen, 2017, S. 17-18

Wie sind Bilder gestaltet?

Die Bilder dieses Buches sind sehr farbenfroh und bunt gestaltet. Dennoch würde ich die Seiten nicht als überladen, sondern eher als minimalistisch und harmonisch bezeichnen. Sie füllen die ganzen Doppelseiten aus und sind auf jeder Doppelseite durch einen kurzen Text ergänzt.

Die bildliche Dimension lässt sich folgendermaßen beschreiben. Die Stimmungen, welche die Bilder erzeugen, sind passend zu der Stimmung, die der Text erzeugt. Es wird an manchen Stellen Spannung aufgebaut, Freude und Chaos vermittelt. Diese Stimmungen werden durch die bunten und teilweise kräftigen Farben unterstützt und auch durch die Gestaltung der Monster. Insgesamt wirkt alles sehr harmonisch und stimmig. Die Hintergründe der Bilder sind meist weiß oder mit leichten Farbakzenten gestaltet. Die Texte, welche sich auf jeder Seite befinden füllen Lücken, an welchen keine Bilder sind. Durch diese Bildsprache werden Kinder adressiert. Kleinkinder, die selbst noch nicht lesen können, können den Großteil der Geschichte nur durch das Ansehen der Bilder verstehen. Aber auch für ältere Kinder kann diese Geschichte durch die Textergänzung einen Mehrwert und Spannung bieten. Erwachsene können auch motiviert sein zu erfahren, wie diese Geschichte ausgeht und wie sehr sie sich beispielsweise von den Primärtexten unterscheidet.

Die intermodale Dimension ist dadurch gegeben, dass ein wechselseitiges Verhältnis von Bild und Text gegeben sind. Beide Medien enthalten jeweils Informationen, die das andere Medium nicht vermittelt. Dadurch wird eine Komplementarität erzeugt.

Zu der verbalen Dimension lässt sich anführen, dass die Sprache der Texte sehr einfach gewählt ist. Es lassen sich kurze Sätze finden, die auf den Punkt bringen was passiert. Die Wortwahl ist einfach zu verstehen und auch der Satzbau ist auf Grundlegendes reduziert. Somit sind die Texte gut für Kinder verständlich.

Das Bilderbuch hat die Maße 28,5 x 23 Zentimeter. Die materielle Dimension lässt daher zu, dass die Doppelseiten optimal zum Vorlesen und Zeigen in einer kleineren aber auch in einer größeren Gruppe geeignet sind. Dieses Buch ist trotzdem handlich genug es im Alltag mitzunehmen. Der Umschlag ist ein Hartcover und gebunden. Somit ist es geschützt vor Gebrauchsspuren.

Der Einband des modernen Märchens besteht aus verschiedenen an Monster erinnernden Wesen, welche in verschiedenen Formen und Farben abgedruckt sind. Dieses Design bedeckt die erste und die letzte Doppelseite. Zwischen diesen beiden Seiten folgt zu Beginn eine Titelseite mit Überschrift und einem Bild von Schneewittchen. Auf der nächsten Seite beginnt die Geschichte. Diese wird auf zwölf Doppelseiten erzählt. Es befinden sich keine Seitenzahlen an den Rändern.

Wie wird die Geschichte verändert?

Abweichungen zum Prätext "Schneewittchen" (Grimm & Grimm, 1812) finden auf mehreren Ebenen statt. Sowohl in der Sprache, der Figurenkonstellation und in der Handlung sind diese zu erkennen. Die Handlung ist zwar in sich schlüssig, weicht aber stark von dem Prätext ab. Allgemein gilt hier zu sagen, dass sich in dem Text intertextuelle Bezüge zu mehreren Prätexten finden lassen.

Der Anfang der Geschichte, welche die Ziege Schneewittchen auf den Weg zum Wolle kaufen zeigt, erinnert stark an den Beginn des Märchens „Rotkäppchen“ (Grimm, 1962), welche mit ihrem Korb allein loszieht. Die Tatsache, dass Schneewittchen in diesem Buch eine Ziege verkörpert und in dem Prätext einen Menschen ist, zeigt große Unterschiede dieser Handlungen.

Das Zitat, welches die Hautfarbe von Schneewittchen mit Schnee vergleicht, und die gleiche Namensgebung schaffen einen Bezug zum Prätext „Schneewittchen“. Die nachfolgende Handlung erinnert dann wiederum an das Märchen der sieben Geißlein. Durch den Wolf als Monster, den Raum in dem sich Schneewittchen versteckt und die sieben Ziegenkinder, welche von draußen zusehen, werden diese Bezüge hergestellt.

Die Sprache, welche in diesem Werk verwendet wird, ist jedoch einfach formuliert und vermittelt deutlich weniger Inhalt und Details als die Prätexte. Auch Kinder können somit den Sinn der Geschichte verstehen, ohne diese lesen zu müssen.

Auch die Aussagen der Geschichten lassen sich nur schwer miteinander vergleichen. Schneewittchen strickt ein Monster zeigt, was aus Wut entstehen kann, auch wenn es nicht beabsichtigt wurde. Zudem aber auch, dass sich diese Situation lösen lässt, mit genug Anläufen. Schneewittchens Aussage hingegen ist deutlich komplexer. Hier geht es um ein Eifersuchtsmotiv der bösen Stiefmutter, welche alles dafür tut, die Schönste zu sein. Schneewittchen flieht und trifft auf sieben Zwerge, bei denen sie untertaucht. Ein Prinz eilt am Ende zur Rettung von Schneewittchen.

Zusammenfassend erinnert der Text an drei verschiedene Primärtexte, aus welchen bestimmte Aspekte verknüpft worden sind. Diese sind „Rotkäppchen“, „Schneewittchen“ und „Der Wolf und die sieben Geißlein“ (Grimm & Richter, 1980). Die Geschichte an sich hat allerdings nur wenige Parallelen zu den Ursprungsmärchen. Die Abweichungen sind sowohl auf der Textebene als auch auf der Bildebene ersichtlich. Wobei sich diese jeweils ergänzen.

Wie erkennt man die Verbindung zum Prätext?


Der Text weist die stärksten intertextuellen Bezüge zu dem Prätext „Schneewittchen“ von den  Brüdern Grimm auf. Dies wird durch den Titel sowie die gleichnamige Hauptperson deutlich. Aber auch inhaltlich lassen sich einige Parallelen feststellen. Ein Zitat, welches fast wörtlich aus dem Prätext übernommen wird, lässt sich am Anfang der Erzählung finden. Dieses lautet, dass Schneewittchens Fell weiß, wie frischgefallener Schnee ist, wobei hier das Wort Haut durch Fell ersetzt, und das der frisch gefallene Schnee ergänzt wurde. Dennoch ist mir diese Ähnlichkeit beim ersten Lesen direkt in den Sinn gekommen.

Zu den Figuren lässt sich festhalten, dass die Hauptpersonen dieses Textes und des Prätextes den gleichen Namen haben. Frau Schaf hat einen ähnlichen Charakterzug wie die böse Stiefmutter, aus dem Prätext und behandelt Schneewittchen schlecht. Es lässt sich vermuten, dass diese Schneewittchen wegen ihrer Fähigkeiten beneidet. Schneewittchen ist zudem umgeben von sieben Ziegenkindern, was an die sieben Zwerge aus dem Primärtext erinnert. Somit ist die Figurenkonstellation ähnlich. Frau Schaf wird ebenfalls gefressen und ist somit kurz aus dem Leben von Schneewittchen verschwunden, aber entschuldigt sich als sie zurückkehrt. Beide Geschichten gehen zudem gut für die Hauptpersonen aus.

 

Zudem fallen einige Parallelen mit dem Märchen "der Wolf und die sieben Geißlein" auf.

Zunächst ist die Hauptperson eine Ziege, die mit sieben Ziegenkindern das Stricken übt. Nun ist sie aber mit den Monstern konfrontiert, während die Kinder von außen zusehen. Der Wolf erscheint ebenfalls in beiden Geschichten als Bösewicht. Schneewittchen versteckt sich vor den Monstern in einem Wandschrank, was Ähnlichkeiten zu der Primärerzählung aufwirft. Schneewittchen überlistet die Monster am Ende, was wiederum eine Parallele ist.

Die Verbindung zum Prätext wird in dieser Erzählung jedoch nicht thematisiert durch einen Titel, Namen oder Ähnliches.

 

Ein weiterer möglicher Prätext ist das Märchen "Rotkäppchen". Dieser Bezug fällt auf der ersten Doppelseite der Erzählung auf. Hier kann man Schneewittchen erkennen, wie sie mit einem Korb in der Hand und einem Kleid am Leib allein durch eine Landschaft läuft. Zwar möchte sie nicht wie in Rotkäppchen ihre Großmutter besuchen, sondern Wolle kaufen, aber das Bild schafft eine Verknüpfung der beiden Texte.

Verbindungen, die nur auf der Bildebene zustande kommen, gibt es in diesem Werk auch. Dass Schneewittchen so weiß wie frisch gefallener Schnee ist, wird zwar textuell beschrieben, jedoch lässt sich Schneewittchen auf dem Bild fast nicht im Schneehintergrund erkennen.

Die Verbindung der erwähnten sieben Geißlein kommt nur auf der Bildebene, durch Abzählen zustande. Diese sind erkennbar, wie sie wird herumtollen, anstatt zu stricken. Die Anzahl selbst wird jedoch im Text nicht explizit benannt.

Der Wandschrank, welcher für die Wolle vorgesehen ist, wird zwar im Text genannt, aber nicht genauer beschrieben. Das dazugehörige Bild zeigt eine Uhr, welche direkt über ihm angebracht ist und somit an die Standuhr erinnert, in der sich das siebte Geißlein in dem Märchen "der Wolf und die sieben Geißlein" versteckt.

Die sieben Ziegenkinder schauen Schneewittchen bei der Bewältigung der Monster von außen zu, das wird ebenfalls nur durch die Bildebene vermittelt.

Quellen