In den Wald hinein 

Anthony Browne 

Worum geht es?

Das Bilderbuch "In den Wald hinein" von Anthony Browne bezieht sich im Handlungsablauf auf das Märchen "Rotkäppchen". Es handelt jedoch von einem kleinen Jungen, der eines Morgens aufwacht, aber dessen Papa nicht mehr da ist. Da seine Oma krank ist, bittet ihn seine Mutter, ihr Kuchen zu bringen, was der Junge dann auch macht. Entgegen dem, was seine Mutter sagte, nimmt er die Abkürzung durch den Wald, damit er wieder zu Hause ist, wenn sein Papa kommt. Im Wald begegnet er Kindern, welche entweder frieren, ihm eine Kuh verkaufen wollen oder den Kuchen versuchen zu essen. Ohne sich jedoch ablenken zu lassen, geht er weiter und findet einen roten Mantel, der ihn auf dem Rest des Weges wärmt. Endlich bei der Oma angekommen, bringt er ihr den Kuchen und findet seinen Papa dort vor. Zusammen gehen sie dann wieder zurück zu Mama.

Wie sind Bilder gestaltet?

Die Bilder sind häufig durch einen schwarzen Rand von dem Weißraum abgegrenzt oder nehmen die Seite in wenigen Fällen komplett ein. Der Text steht meist mittig des Weißraumes und ist somit gleichsam zum Bild im Fokus. Auffällig bei diesem Buch ist, dass sich die Bildformate von Seite zu Seite ändern, aber dann wiederholt auftreten. Somit hat man beim Blättern jeweils ein anderes Leseerlebnis. Besonders prägnant ist die ¾ Bild zu Text-Relation, bei der das Bild über die Doppelseite hinausläuft und mit dem Goldenen Schnitt spielt. So werden verschiedene, gegensätzliche Stimmungen erzeugt. Auf den ersten Seiten stehen sich Familiarität und Leere gegenüber. Als der Junge im Wald ist, werden die Kontraste der Weite und Enge bildsprachlich vermittelt und wieder einige Seiten weiter steht die Einsamkeit der Zweisamkeit gegenüber. 

Eine weitere Auffälligkeit ist, dass in den Bildern, welche die gesamte Seite einnehmen, der Junge immer in Bewegung scheint und einmal dem Bild zu entfliehen versucht. Dies wird durch die Durchbrechung des Bilderrahmens erzeugt und bestätigt das Gefühl der Panik und der Desorientierung, welches im Text daneben beschreiben wird. Da der Text jedoch weniger wiedergibt, als das Bild preisgibt, liegt der Fokus auf der Illustration und der Stimmung, welche diese erzeugt. Diese kontrastierende Gestaltung überträgt sich gleichsam darauf, wie der Leser das Buch wahrnimmt. Anfangs lädt die Gestaltung durch warme, kräftige Farben dazu ein, weiterzublättern und die Geschichte zu erkunden. Als es in den Wald geht, verändert sich die Stimmung jedoch. Der Stimmungswandel wird dadurch herbeigeführt, dass nun alles, bis auf den Jungen, in Grau und Weiß gezeichnet ist. Die verschiedenen aufgemalten Texturen der Bäume, so wie ihre verworrenen Positionen, lassen uns unwohl fühlen. Es wirkt düster, grau, aber durch die Texturen und versteckten Märchenreferenzen auch spannend und aufregend. 

Quelle: Browne, Anthony. In den Wald hinein. o.S.

Erst wenn der Junge bei der Oma ankommt, wird man wieder von warmen Farben begrüßt, die das Unwohlsein beiseite drängen und Raum für ein behagliches Gefühl schaffen.

Die individuelle Gestaltung jeder Seite lädt dazu ein, das Bilderbuch genauer zu betrachten und zu erkunden. Dadurch kann das Lesen und das Bearbeiten des Buches zu einer tiefgreifenden Aufgabe werden.

Wie wird die Geschichte verändert?

Die auffälligste Abweichung zum Prätext betrifft das Geschlecht der Hauptfigur. Wie bei diesem geht ein Kind durch den Wald, um zu seiner Oma zu gelangen. In dieser Fassung handelt es sich jedoch nicht um ein Mädchen, welches sich auf den Weg macht, sondern um einen Jungen. Zusätzlich trifft der Junge auf seiner Reise nicht wie erwartet den bösen Wolf, sondern andere Kinder, die jeweils Referenzen zu anderen Märchen herstellen. Selbst als er den für das Rotkäppchen charakteristischen Mantel findet, hat man von dem Wolf noch nicht viel gesehen. Wie alle andere Referenzen zu verschiedenen Märchen, ist der Wolf gut getarnt im Hintergrund zu sehen und lässt eine Vorahnung zu, was geschehen könnte (sieh Bild rechts). Dadurch, dass die Geschichte jedoch auf eine andere Weise, nämlich mit anderen Figuren und Handlungen erzählt wird, ist man sich trotz des kurzen Auftauchens des Wolfes unsicher, ob er in diesem Buch eine Rolle spielen wird. An dieser Stelle greift der Text die vom Leser empfundene Spannung auf und leitet uns anhand unserer Erwartungen durch den Rest des Buches. Während der Text die Handlungen der Figuren in den Bildern beschreibt, lässt er Informationen zu den Geschehnissen im Hintergrund aus. Dies bietet dem Leser die Möglichkeit, den Wald mit eigenen Augen zu erforschen. Auf diese Weise kann man die Referenzen zu anderen Märchen erkennen, um sich die Sinnhaftigkeit der Begegnungen, welche der Junge erfährt, zu erschließen. 

Browne, A. (2004).

Quelle: Browne, Anthony. In den Wald hinein. o.S.

Anders als beim Prätext begegnet der Junge also anderen Figuren, aber nicht direkt dem Wolf. Zudem findet er den roten Mantel erst als es kalt wird und als er bei dem Haus seiner Oma ankommt, findet er nur diese vor. Die Spannung wird dadurch erzeugt, dass im Hintergrund der Bilder mehr geschieht als der Text verrät. Gleichzeitig greift der Text unserer Erwartungen auf und erzeugt Spannungsbögen, die sich meist über die nächste Seite erstrecken und in einer weniger dramatischen Auflösung enden. Diese Kontradiktion zwischen dem Spannungsaufbau und dem Fakt, dass nichts Dramatisches erzählt wird, macht das Buch spannend zu lesen. Gleichzeitig verleiht es dem Buch einen gewissen Humor, der auch bei mehrmaligem Lesen noch erhalten bleibt.

Wie erkennt man die Verbindung zum Prätext?

Das Buch referiert auf "Rotkäppchen" durch vielzählige Verweise, die sowohl im Bild als auch im Text wieder gespiegelt werden. Auf jeder Seite werden durch die bildliche Gestaltung besondere Fokuspunkte gesetzt. Diese heben nicht nur die Referenzen zu anderem Märchen hervor, sondern unterstützen auch die jeweilige Bildsprache.

Die erste Referenz zum Prätext findet sich in dem Handlungsstrang des Buches wieder. Der Junge soll seiner kranken Oma einen Korb mit Kuchen bringen und muss dabei durch einen Wald laufen. Der Text überwiegt auf dieser Seite und beschreibt das Bild, welches nur eine Momentaufnahme zeigt, näher. Das Erwähnen der Großmutter in dem Text lässt den Bogen zu dem Märchen Rotkäppchen spannen. Zusätzlich wird der Wald erwähnt, durch den der Junge nicht laufen soll. Der Unterschied zum Prätext liegt darin, dass sich der Junge aus einem logischen Grund für die Abkürzung durch den Wald entschieden, nicht wie bei "Rotkäppchen", welches ohne Sinn und Verstand zu handeln scheint.

Eine weitere deutliche Referenz findet sich wieder, wenn der Junge den roten Mantel im Wald findet. In dieser Szene wird nicht nur durch den Text die Verbindung zum Prätext hergestellt, sondern auch durch die Gestaltung des Bildes. Während das Bild den für das Märchen Rotkäppchen charakteristischen roten Mantel in den Fokus stellt, indem dieser nicht nur in der typischen Farbe angemalt ist, sondern auch durch den weißen Hintergrund besonders hervorgehoben wird, kommuniziert der Text die symbolische Überstülpung des Märchens Rotkäppchen auf diese Erzählung im Akt des Anziehens des Mantels. Zusammen mit der Erwähnung der Geschichte vom bösen Wolf im Text sowie dem versteckten Wolfskopf im Bild wird Spannung aufgebaut und eine Vorahnung geschürt, die jedoch im Laufe des Buches keinen Anklang findet. Der Prätext spielt eine große Rolle in der Art und Weise, wie man das Buch wahrnimmt. Er sorgt dafür, dass Spannung durch Sprache und bildliche Symbolik sowie Referenzen aufgebaut wird, sodass eine vermeidlich harmlose Handlung aufregend zu sein scheint.

Abschließend ist noch zu erwähnen, dass sich der Text auch anderen Prätexten wie Hans und die Bohnenranke, Hänsel und Gretel, Goldlöckchen und die Bären und vielen anderen durch Bilder repräsentierte Märchen bedient. Diese verleihen dem Bilderbuch eine gewisse Tiefe, die Differenzierungsmöglichkeiten erlaubt und somit ansprechend für jeden sein kann. 


Quellen