Stereotype im Märchen

„Kurz und dick hat kein Geschick“ (Jakob und Wilhelm Grimm, 1977, S.107).

Immer wieder gibt es Vorurteile, die man einer Person oder einer Gruppe gegenüber hat. Diese sind im Besonderen visuelle Eindrücke, aber auch Eigenschaften die dem Betrachter aufstoßen. Genauer lassen sich Stereotypen als Thesen beziehungsweise Aussagen verstehen, die nicht erwiesen, aber in der Gesellschaft als anerkannt gelten. Zum Beispiel, dass Jungen gerne mit Autos spielen oder Mädchen gerne mit Puppen. Stereotypen können im Gegensatz zu Vorurteilen sowohl als positiv wie negativ gelten. Der Begriff des Stereotyps geht auf Lippmann im Jahr 1922 zurück. Dieser bezeichnete Stereotypen als „Bilder in unseren Köpfen.“ (Lippmann, 1922, zitiert nach Bierhoff, 2006, S. 350)

Anhand der Rollenverteilung in der Gesellschaft lassen sich Stereotype erklären. Laut Eagly und Steffen (1984) „Inhalte der Geschlechtsstereotype den typischen sozialen Rollen entsprechen, in denen sich Männer und Frauen finden.“ (Eagly und Steffen, 1984, zittiert nach Bierhoff, 2006, S. 366)

Betrachtet man nun die bekannten Märchen der Brüder Grimm, so fällt auf, dass diese sehr viele Stereotype benutzen. Ein Beispiel dafür ist das Märchen „König Drosselbart“ in dem die Prinzessin, weil sie nicht verheiratet werden möchte, jedem Freier einen Spitznamen aufgrund von visuellen Eindrücken verleiht (Jakob und Wilhelm Grimm, 1977). „Ei,“, rief sie und lachte, „der hat ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel!“ (Jakob und Wilhelm Grimm, 1977, S.107). Die Prinzessin achtet nur auf das Äußerliche, geht nicht auf die Person im Konkreten ein und macht sich über die Person lustig. Sie vergleicht Menschen mit Tieren und drückt ihnen in ihrer Art Charaktereigenschaften auf.

Ganz oberflächlich betrachtet sind Märchen Geschichten, die man Kindern vorliest. Alle Kinder wissen, dass es ein gutes Ende gibt. Beschäftigt man sich intensiver mit dem Thema Märchen, so stellt man fest, dass Märchen für etwas stehen, sind eine direkte Verbindung zum Menschen und versuchen uns zu erziehen. Sie moralisieren und sind aus diesem Grund sehr interessant für die Literatur. „Das Märchen aber bleibt uns rätselhaft, weil es wie absichtslos das Wunderbare mit dem Natürlichen, das Nahe mit dem Fernen, Begreifliches mit Unbegreiflichem mischt, so als ob dies völlig selbstverständlich wäre“ (Lüthi, 1974, S.6).

Für Jung und Alt gibt es eine Fülle von intermedial bearbeiteten Märchen. Die Medien reichen von Kassetten bis Hörspiel und Theater. Aus diesem Grund werden Märchen auch gerne verwendet. Darüber hinaus hängt die Intension eines Märchens immer von […] „dem Schöpfer und den Bedürfnissen des Hörers ab.“ (Lüthi, 1974, S.76).

Märchen sollen bestimmte Formen von Herrschaft, Gesellschaft und Moral darstellen, um eine Wirkung bei dem Leser/der Leserin zu verursachen. Diese Wirkungsweise wird durch Stereotype im Märchen verstärkt. In Märchen gibt es oft die gleichen Rollen Gute und Böse, Reiche und Arme, Schöne und Hässliche. Schwierig an der Gattung Märchen ist, dass sie „als Transportmittel von Ideologien kritisiert, andererseits als dichterische Gestaltung sozialer Wunschräume der Armen positiv gedeutet werden“ (Lüthi, 1974, S.20).

Gerade weil Stereotype so zeitlos und immer präsent sind, sollte man sich mit dem Thema beschäftigen. Ein weiterer Grund für die Beschäftigung mit Stereotypen in Kinder und Jugendbüchern ist, dass es oft männliche Helden gibt, wie zum Beispiel im Märchen „Dornröschen“. Märchen schaffen Spielräume für Auseinandersetzungen mit schwierigen Themen „weil das Märchen eine bei den Kindern so beliebte Literaturform ist, weil es andererseits in seiner Darstellungs- und Erzählweise so interessant und vielfältig verschlüsselt und weil es nicht so einfach entschlüsselbar ist“ (Lange, 2005, S. 19-24). Dies zeigt, welchen Stellenwert Märchen bei Kindern einnehmen und wie prägend sie für die weitere Entwicklung sind. 

Durch im Unterricht verwendete Literatur sollen auch Grundschulkinder die Möglichkeit haben, sich mit dem Thema Stereotype in der Gesellschaft Gedanken zu machen. Die anschließenden Unterrichtsansätze sollen verdeutlichen, wie dies im Unterricht umgesetzt werden könnte.


Unterrichtsansatz I

Stereotype spielerisch anwenden

Märchenbuch, auf die sich Unterrichtsansatz bezieht: Nord Süd Verlag (Hg) Brüder Grimm Dornröschen mit Illustrationen von Maja Dusikova

Fach: Sportunterricht  / Dornröschen Charaktere imitieren / 

Lernziele: Kinder kennen den Begriff des Stereotyps und können diesen spielerisch anwenden

Vorbereitende Voraussetzungen: Turnelemente sind durch Lehrkraft bereits aufgebaut 

Diese Doppelstunde ist als eine Ergänzung zu vorangegangenen Deutschstunden zu verstehen, die ganz unter dem Banner „Märchen und ihre Stereotype“ standen.

Die SuS der 3. Klasse haben mit Hilfe verschiedener Märchen die Fähigkeit erlangt, Stereotypen in Märchen zu erkennen.

Neben intensiver Arbeit im Deutschunterricht wird nun auch im Sportunterricht das Thema erneut aufgegriffen. 
Zunächst sollen sich die SuS in einen Kreis begeben und die Doppelstunde wird mit einem Aufwärmspiel begonnen.

Nach Beendigung des Aufwärmspiels wird der zuvor aufgebaute „Prinzen – und Prizessinnenparkour vorgestellt. Der Parkour besteht neben einem Start und einem Ziel aus drei Stationen. Die Stationen sind jeweils die Heimstätte eines Stereotyps, den es auch im Märchen Dornröschen gibt. Die Gegenstände werden im Einzelnen besprochen und somit mündlich, in kurzer Form, auf das Thema „Stereotype“ eingegangen. Die Lehrkraft fragt nach, worin das Stereotype bei den Gegenständen gesehen werden kann. 

Im Anschluss sollen die SuS von Station zu Station laufen und müssen dabei das manchmal beschwerliche Leben einer Prinzessin bzw. eines Prinzen führen.

Für den Parkour sind vorab die Stationen eingerichtet worden. Bei Station 1 liegt bereit eine schwere Krone, die nicht vom Kopf fallen darf. Mit einer Krone auf dem Kopf soll ein Schüler oder eine Schülerin auf einer Langbank entlang balancieren, ohne dass die Krone vom Kopf fällt (Prinzen und Prinzessinnen haben stets eine Krone zu tragen). Station 2 besteht aus bereitgelegten Topfstelzen. So wie eine Prinzessin auf hohen Schuhen gehen auch die SuS eine Strecke und versuchen dabei die Balance zu halten. Bei Station 3 geht es darum, schnell im Slalom um Kegel auf einem Steckenpferd zu reiten und gleichzeitig ein Schwert (Requisite vom Fasching oder aus Pappe) in der Hand zu halten (Prinzen müssen oft reiten und mit einem Schwert kämpfen)

Bezogen auf das Kinderbuch Dornröschen sollen die Kinder sich an die Stereotype erinnern, die in der letzten Stunde besprochen wurden. 

Nachdem alle SuS die verwendeten Gegenstände einordnen können und auch die Aufgaben verstanden haben, sollen es einen Parkourdurchlauf geben. Nachdem alle einmal alle drei Stationen besucht haben, sollen zwei Mannschaften gebildet werden. Diese Mannschaften treten nun als eine Variante des einfachen Prinzen - und Prinzessinnenparkours gegeneinander in Form eines Staffellaufs an. Dafür werden entsprechend der Kinderanzahl an Start, Ziel und Station 1-3 die SuS aufgeteilt. 

Den Abschluss der Doppelsportstunde zum Thema „Stereotype“ kann so gestaltet werden, dass, nachdem man sich wieder im Sitzkreis zusammenfindet, noch einmal ein paar weitere Stereotypen genannt werden, die auch in anderen Märchen neben Dornröschen vorkommen. Danach wird der Sitzkreis aufgelöst und ein gemeinsames Aufräumen des Parcours schließt die Stunde. 

Ergebnissicherung erfolgt über ein Flipchart, auf dem die Erkenntnisse und Begriffsdefinition eines Stereotyps festgehalten werden. Kinder erhalten ein Arbeitsblatt, auf dem sie erst selbst in eigenen Worten erklären, was ein Stereotyp ist und dann sollen sie in 4 bis 5 Sätzen erklären, wie sie sich im Hineinschlüpfen der einzelnen Charaktere gefühlt haben. 

Hausaufgabe ist, diese Emotionen in 5 Sätzen zu verschriftlichen und für die nächste Stunde Deutsch mitzubringen. 

Beispiele für Stereotype aus den Bilderbüchern Brüder Grimm und Disney - Als Beispiele für den Unterrichtsentwurf I

Der Prinz mit dem Schwert (Dornröschen) 

(Disney Das große goldene Buch der Prinzessinnen, S. 208 Carlsen Verlag 2019)



Prinz mit Schwert (Dornröschen)

(Brüder Grimm mit Illustrationen von Maja Dusíková)



Reitender Held 

(Brüder Grimm mit Illustrationen von Maja Dusíková)


Schlafendes Dornröschen mit Krone 

(Brüder Grimm mit Illustrationen von Maja Dusíková)


Alle Fotografien wurden von Nadja angefertigt. 

Unterrichtsansatz II

Der Unterrichtsansatz eignet sich schon für Schüler*innen ab der zweiten Klasse und behandelt Stereotype im Märchen "König Drosselbart". 

Die Schüler*innen setzen sich mit den Stereotypen im Märchen spielerisch auseinander. Dafür schauen sie sich eine filmische Adaption von König Drosselbart an. Im Anschluss werden kurze Rollenspiele erprobt und am Ende präsentiert.

Im Rahmen der Unterrichtseinheit im Fach Deutsch wurden verschiedene Märchen vorgestellt. Der Begriff Stereotyp und die Definition dessen ist bekannt. Die Schüler*innen haben in der vorherigen Unterrichtsstunde das Märchen von König Drosselbart behandelt und kennen die Geschichte. 

Für diesen Unterrichtsansatz wird der Film "König Drosselbart" (DDR/ČSSR, 1984) benötigt, sowie Kostüme und Requisiten wie z.B. Kleider, Schmuck, Kronen, Schild, Gewand, Kittel, Korb und Tongeschirr.

Die Stunde beginnt mit einer kurzen mündlichen Wiederholung des Märchens der Brüder Grimm. Anschließend werden im Plenum die wichtigen Stereotype herausgearbeitet. Die Lehrperson sammelt die Ergebnisse an der Tafel. 

Beispiele für Stereotype:

Nach der Einführung zeigt die Lehrperson eine filmische Adaption des Märchens: 

Der Film "König Drosselbart" (DDR/ČSSR, 1984) basiert auf dem gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm. Zum einen werden die Charakterzüge der Protagonist*innen aus dem Prätext im Film aufgegriffen und gut dargestellt. Neben den vielen Gemeinsamkeiten gibt es auch Unterschiede. Der Film beginnt mit einer Theateraufführung. Es handelt sich noch nicht um die richtige Prinzessin Anna, den König und ihre Verehrer, sondern um eine Inszenierung dieser Figuren durch Schauspieler*innen. In der Bühnenaufführung für das Volk und König Michael wird sich über das Verhalten der Prinzessin lustig gemacht. 

Diese einleitende Szene dauert im Film fast 8 Minuten (00:00 – 07:51) und wird den Schüler*innen gezeigt. 

Sie eignet sich besonders gut für das Unterrichtsthema, da in der überspitzen Darstellung schon deutlich Stereotype erkennbar sind. Im Plenum kann der Filmausschnitt besprochen werden, indem vor allem die entscheidenden Merkmale thematisiert werden. Das vorherige Tafelbild wird ggf. um einige neue Punkte ergänzt. Außerdem wird hier eine Kompetenz aus dem hessischen Kerncurricula aufgegriffen, die besagt, dass Lernende Verhalten und Eigenschaften von Figuren/Personen in Texten/Medien beschreiben können (S. 19).

Daraufhin wird der Arbeitsauftrag erläutert:

Die Schüler*innen sollen sich in Partner- oder Gruppenarbeit (max. 3 Personen) eine eigene kurze Bühnenaufführung zu einem Teil des Märchens überlegen. Inspiriert von dem Film, soll es auch einer Parodie ähneln und überspitzt dargestellt werden. In der Sprache und Gestaltung sind sie weitgehend frei und können die Aufgabe kreativ umsetzen. 

Die Lehrperson teilt den dazugehörigen Abschnitt aus dem Prätext aus (siehe unten). Sie erwähnt nochmal die Stereotype, die an der Tafel gesammelt wurden, und weist darauf hin, dass sich die Schüler*innen an diesen gut orientieren können.

Die Schüler*innen dürfen sich frei im Raum verteilen und an den Kostümen sowie den passenden Requisiten bedienen. Zur Erinnerung an die zu spielende Szene lesen sie sich die Textpassage durch. 

Für den Abschluss sammelt sich die Klasse wieder im Plenum. Die Lehrperson beendet die Arbeitsphase und bittet die Schüler*innen sich in den Kinositz zu setzen. Nun werden die Ergebnisse präsentiert. 

Jede Gruppe spielt ihr erprobtes Stück vor. Die Klasse gibt ein kurzes wertschätzendes Feedback. Es bietet sich an, eine Diskussion über das Rollenspiel anzuleiten. Dabei wird gezielt nach erkennbaren Stereotypen gefragt. Die Schüler*innen festigen somit ihr Wissen und können bereits Erlerntes anwenden.

Nach Abschluss der Unterrichtseinheit können die Lernenden Texte für andere mittels Darstellungs- und Präsentationsformen aufbereiten (Hessisches Kerncurricula, S. 19). Zudem können sie mit Texten/Medien produktiv umgehen. Sie können aus vorgegebenen oder eigenen Ideen Szenen verfassen, eine vorgegebene Rolle einnehmen und szenisch umsetzen und Texte in andere Darstellungsformen übertragen (Hessisches Kerncurricula, S. 20)

Dieser Abschnitt kann als Vorlage für die Inszenierung dienen:

"Der Spielmann antwortete: „Das ist mein und dein Haus, wo wir zusammen wohnen.“ Sie mußte sich bücken, damit sie zu der niedrigen Tür hineinkam. „Wo sind die Diener?“ sprach die Königstochter. „Was, Diener?“ antwortete der Bettelmann, „du mußt selber tun, was du willst getan haben. Mach nur gleich Feuer an und stell Wasser auf, daß du mir mein Essen kochst; ich bin ganz müde.“ Die Königstochter verstand aber nichts vom Feueranmachen und Kochen, und der Bettelmann mußte selber mit Hand anlegen, daß es noch so leidlich ging. Als sie die schmale Kost verzehrt hatten, legten sie sich zu Bett. Aber am Morgen trieb er sie schon ganz früh heraus, weil sie das Haus besorgen sollte. Ein paar Tage lebten sie auf diese Art schlecht und recht und zehrten ihren Vorrat auf. Da sprach der Mann: „Frau, so geht´s nicht länger, daß wir hier zehren und nichts verdienen. Du sollst Körbe flechten!“ Er ging aus, schnitt Weiden und brachte sie heim. Da fing sie an zu flechten, aber die harten Weiden stachen ihr die zarten Hände wund. „Ich sehe, das geht nicht“, sprach der Man, „spinn lieber, vielleicht kannst du das besser.“ Sie setzte sich hin und versuchte zu spinnen, aber der harte Faden schnitt ihr bald in die weichen Finger, daß das Blut daran herunterlief. „Siehst du“, sprach der Mann, „du taugst zu keiner Arbeit, mit dir bin ich schlimm angekommen. Nun will ich´s versuchen und einen Handel mit Töpfen und irdenem Geschirr anfangen. Du sollst dich auf den Markt setzen und die Ware feilhalten.“ Ach, dachte sie, wenn auf dem Markt Leute aus meines Vaters Reich kommen und sehen mich da sitzen und feilhalten, wie werden sie mich verspotten! Aber es half nichts, sie mußte sich fügen, wenn sie nicht Hungers sterben wollten. Das erstemal ging´s gut, denn die Leute kauften der Frau, weil sie schön war, gerne ihre Ware ab und bezahlten, was sie forderte; ja, viele gaben ihr das Geld und ließen ihr die Töpfe noch dazu. Nun lebten sie von dem Erworbenen, solange es dauerte, da handelte der Mann wieder eine Menge neues Geschirr ein."

Aus: Grimms Märchen. Gesamtausgabe mit Illustrationen von Ludwig Richter. 1995, S. 272.

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Quellen