Simsala Grimm

Deutschland:1999 

Staffel 01; Folge 11: Rumpelstilzchen 

Worum geht es?

Yoyo und Doc Croc sind zwei freierfundene Fabelwesen, die Teil der Rahmenhandlung der gesamten Serie sind und in jeder einzelnen Folge auftreten, indem sie durch das fliegende Märchenbuch in das jeweilige Märchen eintauchen, es mit erleben und in den Stunden der größten Not den Guten beiseite stehen, um das Happy End zu ermöglichen:

Der Müller steckt in der Bredouille, da er durch die ausgebliebene Ernte keine Abgaben an seinen König zahlen kann. Um seine Tochter aus den Fängen des Steuervogts zu retten, behauptet er etwas Unglaubliches: Seine Tochter könne Stroh zu Gold spinnen! Daraufhin wird die Müllerstochter ins Schloss gebracht, mit Yoyo und Doc Croc unwissentlich im Schlepptau. In der Kornkammer und umgeben von Stroh angekommen, versuchen die beiden Helfer der Müllerstochter mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, doch vergeblich. Erst als ein kleines Männlein aus dem Nichts auftaucht, um ihnen eigennützig Hilfe anzubieten, besteht Hoffnung. Da der Steuervogt, der zudem seinen König betrügt, den Hals nicht voll bekommt, vergehen zwei weitere Nächte. Das Mädchen übergibt dem Männlein zunächst ihren Ring, dann ihre Kette und verspricht ihm zu guter Letzt gezwungenermaßen ihr Erstgeborenes. Nach der dritten Nacht läuten die Heiratsglocken und ein Jahr später wird die ehemalige Müllerstochter und nun Königin-Mutter. Daraufhin erscheint das Männlein und fordert seinen Lohn ein, hat aber Mitleid und bietet an: Wenn sie seinen Namen binnen drei Tagen herausfände, sei der Schwur aufgehoben. Sofort machen sich die Drei auf die Suche, doch vergeblich. Am zweiten Tag folgen die Helfer dem Männlein, finden durch Zufall den Namen heraus und können ihn trotz gestellter Hürden rechtzeitig übermitteln, sodass die Königin ihr Kind behalten kann. Völlig entsetzt verschwindet das Rumpelstilzchen. 

Mit welchen medialen Inszenierungstechniken erzählt das Märchen?

Einzig und allein das verzauberte Märchenbuch, was die zwei Helden Yoyo und Doc Croc in das jeweilige Märchenabenteuer manövriert, verkörpert in diesem Zusammenhang die Rolle des Erzählers. Jedoch beschränkt sich sein Auftreten nur auf den Anfang und das Ende der Folge und fasst dabei die typischen Märchenmerkmale wie „Vor langer langer Zeit“ (Hahn et al., 1999, 00:00:03-00:00:05) und „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“ (Hahn et al., 1999, 00:21:25-00:21:30) auf. Viel mehr Text besitzt es nicht. Während der eigentlichen Märchenhandlung ist keine Erzählinstanz vorhanden, da der Handlungsablauf durch die Aneinanderreihung von Bildern und unterstützender akustischen Begleitung selbsterklärend ist. Somit wirkt es für den Betrachter, als wäre er Teil des Geschehens und erlebt jede, für das Märchen relevante, Szene mit. 

Durch Benutzung des bewegten Bildes (Zeichentrick) und der entsprechenden Vertonung öffnet sich ein Füllkorb an Möglichkeiten der Atmosphärengestaltung im Rahmen der Musik, Geräusche, Farbauswahl sowie Bilderfolge. Bei der Stimme des Rumpelstilzchens wurde zum Beispiel eine eher unangenehme und schrille Stimmlage ausgewählt, was in Verbindung mit seiner optischen Gestalt den abschreckenden Charakter visuell und akustisch greifbar macht. In der großen Kornkammer wird den Stimmen der Figuren ein Hall angehangen, was indirekt die Größe des Raumes beschreibt, in dem sie sich befinden. In spannenden Szenen wird spannungsaufbauende Hintergrundmusik verwendet, um das emotionale Mitfiebern der Zuschauer*innen zu unterstützen. Geräusche wie zum Beispiel das sonderbare „Zaubergeräusch“ beim Erblicken des vielen Goldes am nächsten Morgen akzentuiert das vorliegende bewegte Bild. 

Die Folge verwendet längere Bildzeiten, die verhindern sollen, dass Kinder mit zu schnellen Eindrücken überlastet werden. Dies erhöht die Wirkung und zudem erlaubt es, mit dem Inhalt besser mitzuhalten (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, o. D.). Die Perspektiven der Kameraführung wechseln sich stetig ab. Am häufigsten wird jedoch die der Normalsicht verwendet, die ein Gefühl der Integration vermittelt. Doch kommen auch Einstellungen wie die Aufsicht und Untersicht zum Tragen. Erstes übermittelt mehr Übersicht und zweiteres versetzt sich in die Sicht von Yoyo, Doc Croc und Rumpelstilzchen.

Durch die Nutzung des Zeichentrickformats wird vermehrt das jüngere Publikum angesprochen, da das große Repertoire an Gestaltungsmöglichkeiten bei der Umsetzung motivierender und interessanter für Kinder jungen Alters wirkt. Somit kann der Inhalt des Märchens besser visuell unterstützt werden und die eher gröbere Umsetzung verhindert, dass die jungen Zuschauer ein Gefühl der Überforderung empfinden. Sie können sich so auf den wesentlichen Inhalt der Geschichte konzentrieren. Weiterhin sollen durch die Serie bestimmte grundlegende Kompetenzen der Kinder gefördert werden, wie zum Beispiel die Prägung von Humor, Mitgefühl, Abneigung, Unterscheidung zwischen Gut und Böse oder eben die spezifische Botschaft der Folge. Bezogen auf das Märchen Rumpelstilzchen ist es die Darstellung der eigenen Gier und die negativen Konsequenzen, die meist zu einem späteren Zeitpunkt auf Grund dessen erfolgen. Ein weiteres Merkmal, was für die kindliche Adressierung der Folge, aber auch gesamten Serie spricht, ist, dass sie im Kika-Kanal ausgestrahlt wird. Bei dem Kanal handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Fernsehkanal von ARD und ZDF, der sich explizit an Kinder und Jugendliche richtet. Zu meiner Kindheit wurde die Serie kurz vor der Schlafenszeit ausgestrahlt und nahm durch ihre kinderfreundliche und angemessene Dauer (ca. 20 Minuten) den Platz der Gutenachtgeschichte ein. Heutzutage ist sie durch sämtliche Streaming-Dienste wie zum Beispiel Amazon Prime Video, RTL+ oder Magenta TV zu jeder Tageszeit abrufbar. 

Wie wird die Geschichte verändert?

Während sich der Müller zu Beginn des grimmischen Prätextes Rumpelstilzchen (2003) aus reinem Eigeninteresse und Überheblichkeit vor dem König gut darstellen möchte und durch das „Stroh zu Gold spinnen Können“ selbst verantwortlich für die Not seiner Tochter wird, versucht er in der Fernsehfolge durch die Lüge das Leben seiner Tochter vor der Klinge des Steuereintreibers des Königs zu retten. Daraufhin wird die Müllerstochter durch Graf von Greif direkt ins Schloss verschleppt. Yoyo und Doc Croc, die dieses schlimme Szenario mitansehen, schlüpfen in einen Kornsack, um somit unbemerkt ins Schloss zu kommen und dadurch die Müllerstochter aus der misslichen Lage zu befreien. Im grimmschen Primärtext soll der Vater eigenständig seine Tochter am kommenden Tage in das Schloss bringen und dem König ausliefern. 

Apropos Graf von Greif: Diese Figur wurde gänzlich neu erfunden und gab es so in ihrer Gestalt zu keinem Zeitpunkt im niedergeschriebenen Märchen. Es handelt sich hierbei um den bösen Steuereintreiber des Königs Franz Ferdinand zu Simsala, der von Gold und Schätzen den Hals nicht vollbekommt und deswegen seinen Herren hintergeht und beklaut. In dieser Version wird der König als guter Mensch dargestellt, der die Müllerstochter nur deswegen drei Nächte in Folge in der Kornkammer festhält, da er sich um das Wohlergehen seiner Untertanen sorgt und vom hinterlistigen Graf von Greif getäuscht wird. Somit wird der böse Charakter des Königs im Prätext, der von Gold nicht genug bekommen kann und das Leben der Müllerfamile eigennützig bedroht, auf Graf von Greif übertragen. 

In beiden Fassungen erscheint der Müllerstochter ab der ersten Nacht in der Kornkammer ein kleines Männlein, das ihr äußerst eigennützig seine Hilfe anbietet. Dessen Auftreten unterscheidet sich jedoch voneinander. In der Buchfassung betritt es die Kammer durch die verschlossene Tür, derweil es in der Zeichentrickfolge in einem grünen Wirbel durch das Zimmer fegt. 

Auch werden direkt weitere Abweichungen auffällig: Halsband, Ring und Erstgeborenes, so heißt die Reihenfolge der Gegenstände, durch die das Männchen für seine Arbeit im Text entlohnt wird. In der Zeichentrickfolge ist diese sachlich identisch aber in der Reihenfolge leicht vertauscht: Ring, Halsband und Erstgeborenes. Nach der Einigung über den Lohn schlafen die drei Freunde (Müllerstochter, Yoyo und Doc Croc) durch den Zaubergesang des Männleins ein und wachen am nächsten Tag in einem Berg voller Gold auf. Beim Primätext ist von einem Einschlafzauber nie die Rede und das Mädchen befindet sich ohne jegliche Hilfe durch Kameraden allein in der Kammer, bis das Rumpelstilzchen auftaucht.

Vor Beginn der letzten Nacht wird in beiden Versionen der Müllerstochter durch den König ein Heiratsantrag gemacht. Doch erfolgen diese aus unterschiedliche Beweggründen: Im grimmschen Märchentext durch die Gier nach Gold angespornt, entscheidet der König, dass er in seinem Leben keine reichere Frau finden werde, die ihm jemals mehr Geld schenken könne als die Müllerstochter. Demnach entscheidet er eigenständig über die Vermählung und fragt sie nicht mal um ihre Erlaubnis. In Simsala Grimm plagt den König sein schlechtes Gewissen und er sorgt sich um das Wohl des Mädchens und ihres Vaters, weswegen er verhindern möchte, dass sie in ihrem Leben nochmals Leid verspüren muss. Aus Dank heraus hält der König um ihre Hand an. 

Wie vorhin schon erwähnt, wurde der Charakter des Grafen von Greif in der Märchenfassung von Simsala Grimm hinzugedichtet und somit auch der Handlungsstrang, in dem Yoyo und Doc Croc dem Bösewicht, der eine Kammer voller Gold vor seinem König geheim hält, auf die Schliche kommen. Um seine Täuschung ans Licht zu bringen, geben Yoyo und Doc Croc König Franz Ferdinand zu Simsala einen Tipp, der erst durch ihre Hilfe hinter den Betrug kommt, das wahre Gesicht seines Steuereinnehmers erkennt und ihn daraufhin aus dem Königreich verbannt. 

Nach einem Jahr, kurz nach der Geburt des Erstgeborenen der Königin, erscheint das Männlein. Beides mal empfindet es etwas Mitleid mit der Königin, weshalb ihr eine letzte Chance gewährt wird, um ihr Kind behalten zu können. Im Prätext schickt die Königin am ersten Tag einen Boten los, um den geheimen Namen herauszufinden. Währenddessen probiert sie in der ersten Nacht alle Namen, die sie kennt und in der zweiten seltsame Namen ihrer Untertanen aus, doch vergeblich. Der Bote erreicht am letzten und dritten Tag das Schloss seiner Herrin mit dem schlussendlich richtigen Namen im Gepäck. Diesen gabelt er auf, als er weit weg auf einem Berg, glücklicherweise selbst unbemerkt, ein um ein Feuer tanzendes und singendes Männchen entdeckt. Als nun das Zaubermännlein zum finalen dritten Mal erscheint, nennt die Königin absichtlich zunächst zwei falsche Namen (Heinz und Kunz) bis sie daraufhin beim dritten und letzten Versuch, den ihr bereits bekannten und korrekt überlieferten Namen nennt. Das Auskosten der Versuche bis zum allerletzten soll die Spannung steigern. Daraufhin zerreißt sich das Rumpelstilzchen eigenständig in zwei Teile und ist tot.

In der visuellen Umsetzung verfolgen Yoyo und Doc Croc das kleine Männlein in der zweiten Nacht, nachdem das gemeinsame Namenraten erfolglos bleibt. Sie entdecken es im Wald, tanzend und singend um ein Lagerfeuer. Hierbei verrät es seinen Namen, bemerkt jedoch, dass es von den zwei Helfern belauscht wurde, schnappt sie und zaubert sie in ein Labyrinth. Mittels dieses Hindernisses hofft es, die zwei Abenteurer bis zum nächsten Morgen aufzuhalten, damit sie der Königin nicht rechtzeitig den Namen überbringen können. Zur rechten Zeit angekommen, verkündigen Yoyo und Doc Croc ihr den Namen und die Königin löst die Aufgabe mit ihrem letzten Versuch. Das Ende der Folge wurde kinderfreundlicher gestaltet, indem das Rumpelstilzchen vor Wut nur in Feuer entflammt und daraufhin in die Weite entflieht. 

Das Märchen wurde von einem rein textanalytischen Format des Prätextes ins Zeichentrickformat transformiert. So gesehen beziehen sich die Abweichungen nicht nur auf manche inhaltliche Aspekte, sondern auch insgesamt auf die formelle Gestaltung. 

Wie erkennt man die Verbindung zum Prätext?

Durch den gleichnamigen Folgentitel wird unmittelbar deutlich, dass besagte Folge auf das Märchen Rumpelstilzchen der Gebrüder Grimm zurückzuführen ist. Weiterhin heißt die Serie an sich Simsala Grimm und verwendet demzufolge den Nachnamen der zwei bekannten Brüder Jacob und Wilhelm, die sich zu ihren Lebzeiten aktiv mit dem Sammeln und Aufschreiben von Märchen befasst und durch diese Aktivität ihren Ruhm erworben haben. Dies belegt, dass sich die Zeichentrickserie insgesamt auf Werke stützt, die im Vorhinein schon existiert haben. 

Auch durch das bekannte Intro der Kinderserie wird ersichtlich, dass sich jede einzelne Folge auf einen Prätext der Gebrüder Grimm bezieht: Nach Folgenstart erscheint in den ersten Sekunden der Serienname Simsala Grimm und die Titelunterschrift "Die Märchen der Brüder Grimm". Darauffolgend wird ein Märchenbuch präsentiert, das durch einen Zauberspruch verzaubert wird und durch Zauberstaub die Hauptfiguren Yoyo und Doc Croc zum Leben erweckt. Mit ihnen auf seinen Buchseiten fliegt es in die Welt der Märchen und setzt sie beim nächsten Abenteuer, in dem die beiden am meisten gebraucht werden, ab (also bei dem Märchen, um das es in der Folge geht).

Direkte wörtliche Übernahmen sind zwar nur selten wahrzunehmen, aber sie kommen im Zeichentrickformat von Simsala Grimm vor. So wird zum Beispiel der Text von dem Lied, das Rumpelstilzchen während seines Lagerfeuers tanzend aufsagt, in den ersten drei Strophen leicht abgeändert, wobei der Inhalt der gleiche bleibt, jedoch in der letzten Strophe, die charakteristisch und namensgebend für das Märchen ist, wortwörtlich übernommen. So heißt es: „dass ich Rumpelstilzchen heiß“ (Hahn et al., 1999, 00:18:00-00:18:02). Auch am Ende, als die Königin den wirklichen Namen des Männchens errät, wird der Spruch „Das hat dir den Teufel gesagt“ (Hahn et al., 1999, 00:20:30-00:20:32), der die Wut und Fassungslosigkeit des Rumpelstilzchens vermittelt und einer der prägnantesten Sätze des Prätextes ist, direkt in seiner exakten Wortwahl aufgenommen. 

Der Titel, bei dem es sich um den geheimen Namen des Männleins und somit um die Quintessenz des ganzen Märchens handelt, ist in beiden Fällen auch der Gleiche und somit ohne Abänderung als Folgenname übernommen worden. Wirkliche Namen, außer der des Rumpelstilzchens, konnten nicht wirklich rezipiert werden, da die Figuren im Prätext nur durch deren Rollen oder Tätigkeiten definiert wurden, wie zum Beispiel Müller, König und Königin/Mädchen/Müllerstochter und nähere individuelle Beschreibungen ausblieben. Auf Vorangegangenes hören auch die Figuren in der Folge, allerdings wurden den Rollen weiterhin wirkliche Namen zugesprochen: So heißt der König Franz Ferdinand zu Simsala, der Steuervogt Graf von Greif, die Müllerstochter Sissi, aber der Müller bleibt der Müller. 

Von Verbindungen auf der Bildebene zwischen dem grimmschen Märchentext und der Simsala Grimm-Folge Rumpelstilzchen kann nicht gesprochen werden, da es sich beim Prätext um ein rein textliches Format handelt. Auch bleiben im Märchen spezifische Beschreibungen der Figuren aus, mit Ausnahme der Aussage „kleines Männchen“ (Grimm & Grimm, 2003, S. 209), die für das Rumpelstilzchen steht. Dementsprechend wird das Rumpelstilzchen deutlich kleiner, ähnlich einem Zwerg, als die anderen visuell umgesetzt. Für die restliche Umsetzung der Charaktere besaßen die Autor*innen und Graphiker*innen der Serie großen Bewegungsspielraum. 

Quellen